Das Kinderpflege-Lehrbuch von Prof. Dr. Arthur Keller und Prof. Dr. Walter Birk erschien in der ersten Auflage 1914 und in einer vollständig neu bearbeiteten dritten Auflage 1917. Hier eine direkte Gegenüberstellung des Kapitels "Ernährung älterer Kinder" aus beiden Auflagen.

1914 1917
Häufiger noch als beim Säugling wird beim Kind im zweiten Lebensjahre der Fehler gemacht, daß das Kind mit Milch überfüttert wird. Ich sagte Ihnen schon, daß wir bereits im sechsten oder siebenten Monat anfangen, dem Säugling Grieß und Gemüse zu geben, daß wir also schon da mit der ausschließlichen Milchernährung aufhören. Im neunten Monat besteht die Nahrung des Säuglings aus 1/2 Liter Kuhmilch, Gemüse, Grieß- oder Zwiebackbrei und Obst.
Die Nahrung im zweiten Lebensjahre soll aus Gemüse, Reis, Mehl, Zwieback, Fleischbrühe, aus Obst und Milch bestehen. Wenn noch weiter 5 Mahlzeiten pro Tag beibehalten werden, so sind diese nun so einzurichten, daß nur 3 von ihnen als Hauptmahlzeiten und 2 als Zwischenmahlzeiten zu gelten haben. Die Nahrung ändert sich bis zum Ende des zweiten Lebensjahres nur wenig, abgesehen davon, daß das Kind größere Mengen von Gemüse, Brei und Obst aufnimmt. Manche Kinder stellen sich ohne Zwang auf vier Mahlzeiten ein. Wenn aber auch fünf Mahlzeiten beibehalten werden, so sind diese zweckmäßig so einzurichten, daß drei von ihnen als Hauptmahlzeiten und zwei als Zwischenmahlzeiten zu gelten haben.
Diese Zwischenmahlzeiten, welche wir auf Vormittag und Nachmittag legen, sollen vom zweiten Lebensjahr bis zum Schulalter aus Weißbrot mit Obst bestehen und dürfen nicht zu reichlich sein.
    Die 3 Hauptmahlzeiten dagegen fallen auf früh, Mittag und Abend. Auf diese Hauptmahlzeiten ist die Milch und sind die übrigen Nahrungsmittel etwa gleichmäßig zu verteilen. Eine gute Pflege soll übrigens darauf bedacht sein, dem Kind schon im zweiten Lebensjahre und noch mehr später auch mit diesen einfachen Nahrungsmitteln möglichst große Abwechslung zu bieten.
Ein Kind von 1 1/2 Jahren erhält zur ersten Mahlzeit 1/4 Liter Milch, dazu 2-4 Zwieback, zur zweiten Mahlzeit Obst mit Butterbrot oder Butterbrot mit Honig oder Weißkäse, zur dritten Mahlzeit Gemüse mit Kartoffeln, die vierte Mahlzeit wie die zweite, zur fünften Mahlzeit Grieß- oder Zwiebackbrei mit 1/4 Liter Milch, nach Bedarf Butterbrot oder Zwieback.
Eine Frage wird übrigens von der Mutter betreffs Obst an den Arzt gerichtet, nämlich die, ob das Obst dem Kinde auch roh gegeben werden darf. Wir können die Frage bejahen, wenn das Obst tadellos frisch ist. Es liegt kein Grund vor, dem Kinde das Obst nur gedünstet zu geben, dagegen möchte ich vor stark gezuckerten Obstkonserven, vor stark gezuckerten Konfitüren und Kompott warnen, sie werden von manchem Kinde schlecht vertragen.  
Bisher habe ich von Fleisch und Eier nicht gesprochen. Vor dem übermäßigen Genuß von Eiern ist zu warnen, da damit dem Kinde kein Nutzen erwächst. Fleisch geben wir im allgemeinen vom Ende des zweiten Lebensjahres an, und zwar fangen wir mit kleinsten Quantitäten geschabten oder stark zerkleinerten Fleisches an. Es ist selbstverständlich, daß wir starke Würzen oder fette Saucen bei der Zubereitung des Fleisches für das Kind vermeiden, aber es ist durchaus nicht notwendig, daß das Fleisch für das Kind anders als für Erwachsene gekocht wird. Die Kinder können jedes Fleisch und auch in jeder Zubereitung, gedünstet, gebraten und gekocht erhalten. Vom Ende des zweiten Lebensjahres an wird der Kost Fleisch zugelegt, und zwar fangen wir mit kleinen Quantitäten geschabten oder stark zerkleinterten Fleisches an und lassen das Fleisch mit dem Gemüse zur Mittagsmahlzeit reichen. Selbstverständlich sind stark gewürzte oder fette Saucen bei der Zubereitung des Fleisches fürs Kind zu vermeiden. Die Kinder brauchen nicht nur weißes Fleisch zu erhalten, sondern können jedes Fleisch und in jeder Zubereitung: gedünstet, gebraten und gekocht bekommen. Manche Kinder werden mit Eiern überfüttert, es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Kind von drei Jahren zwei- oder dreimal wöchentlich ein gekochtes Ei ißt, oder wenn hin und wieder Eier zur Zubereitung von Mehlspeisen verwendet werden; es ist aber unnnötig, für manche Kinder sogar schädlich, wenn das Kind Tag für Tag ein oder sogar zwei Eier erhält.
Für ein Kind im 3. Lebensjahre würde ich folgende Speisen empfehlen:
    Morgens: 1/4 Liter Milch mit Weißbrot oder Zwieback.
    Mittags: Suppe, Gemüse, Fleisch und Obst.
    Abends: Mehl- oder Milchspeise; zur Ergänzung, falls nicht genügend davon erhalten, Obst oder Milch.
 
  Vom vierten Jahre an nähert sich die Kost der Kinder immer mehr der der Erwachsenen, man wird nur insofern eine Auswahl treffen, als übermäßig fette oder saure Speisen vermieden werden. Auch während der Schulzeit empfiehlt sich die Innehaltung der drei Hauptmahlzeiten, so daß das Kind frühmorgens vor der Schule eine reichliche warme Mahlzeit erhält, mittags und abends den Tisch der Erwachsenen und zum Frühstück und Vesper nur ein einfaches Butterbrot, am besten mit Obst, bekommt.
Die Kunst der Pflege wird es sein, auch für das Kind eine schmackhafte und abwechslungsreiche Kost herzustellen. Um dies zu erleichtern, werden Ihnen die folgenden Kochvorschriften, die nur als Beispiel dienen sollen, Anhaltspunkte geben. Man sollte nicht versäumen auch zu der Zeit, in welcher für das Kind die Speisen noch gesondert gekocht werden, ihm in seinem Speisezettel möglichste Abwechslung zu bieten, zumal die Breikost auf die Dauer recht langweilig wird.
Was schließlich das Trinken der Kinder anbelangt, so ist zum Durstlöschen zwischen den Mahlzeiten gutes, einwandfreies Wasser, ev. mit Fruchtsaft - nicht Milch - zu empfehlen. Zu den Mahlzeiten erhalten die Kinder in der Regel so viel Flüssigkeit, daß ein Getränk kaum in Frage kommt. Alkoholartige Getränke irgendwelcher Art sind strengstens zu verbieten. Was das Trinken der Kinder anbelangt, so ist zum Durstlöschen gutes einwandfreies Wasser, vielleicht mit Fruchtsaft - nicht Milch - zu empfehlen. Zu den Mahlzeiten erhalten sie Kinder in der Regel sociel Flüssigkeit, daß ein Getränk nicht in Frage kommt. Manche Kinder zeigen eine auffallende Neigung, Wasser in großen Mengen zu trinken, das ist ihnen zu verbieten. Der Wasserhahn darf nicht zur freien Verfügung des Kindes stehen. Alkoholartige Getränke irgendwelcher Art sind strengstens zu vermeiden.

 

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