In einem Hebammenkalender für das Jahr 1879 habe ich die Gebührenordnung für Hebammen aus den Jahren 1875 (Preußen) und 1876 (Königreich Württemberg) gefunden. Für die bessere Vergleichbarkeit habe ich die Beträge umgerechnet. 1 Mark im Jahr 1875 entspricht 6,80 Euro im Jahr 2020. Quelle

"Ein Freund der zu verbessernden Hebammeneinrichtungen schreibt im Jahre 1802:

"Die Hebammen müssen, nach alt hergebrachtem Gebrauche, besonders aber auf den Landesortschaften, die Kindbetterin nach vollendeter Geburtsarbeit neun Tage lang, oft noch länger täglich besuchen, sie und das Kind säubern, wickeln, die Betten machen, das Zimmer auskehren, kochen, beschmutzte Windeln und Hemden waschen (Arbeiten, welche die Hebammen um Vieles heruntersetzen! Sie gehören für die Hausmagd), überhaupt wie Tagelöhner oder Dienstboten arbeiten, und für alle diese Bemühungen werden sie nach Verlauf dieser Zeit mit 30 Kreuzer, sage dreißig Kreuzer, taxmäßig bezahlt. Und wie viele Bauern zahlen noch dieses? Etwas Erbsen oder Linsen, ein Korb voll Kartoffeln u. s. w. werden den dürftigen Hebammen öfters statt Bezahlung gereicht. - Bei armen Leuten, deren es doch manche in ihrer Gemeinde giebt, für Schwangerschaftsbesuche, Nachtwachen, für öfteres Klystiergeben, bekommen sie gar nichts." "Dabei dürfen die Hebammen nur ausnahmesweise ihren Wohnort verlassen."

Im Jahre 1878 ist dies an vielen Orten nicht besser. 

Der Erwerb der Hebammen ist, wenige Ausnahmen in den größeren Städten abgerechnet, überall ein dürftiger. Man denke sich nur bei durchschnittlich 60 Geburten im Jahr eine Bezahlung im Mittel von 6-12 Mark für jede Entbindung und Wochenpflege! In dürftigen Gegenden, bei jungen oder alten Hebammen wird dieser Durchschnitt, die zuweilen reichlicher fließenden Pathengeschenke mit eingerechnet, nicht erreicht und selbst in den großen Städten giebt es nur ausnahmsweise einige Hebammen, die durch Fleiß und Sparsamkeit zu einem kleinen Vermögen gelangten.

Die schlechte Bezahlung, die offene Noth zwingt die Frauen, sich zu Dienstbotenarbeiten herzugeben und dadurch an der Achtung im Publikum einzubüßen. Daher kommt es auch, daß die zu diesem Geschäft brauchbarsten und geschicktesten Frauen die ihnen angebotene Hebammenlaufbahn ausschlagen.

Verdienst, Schadenersatz für Versäumnisse, frohe Aussicht für das Alter, überhaupt Bezahlung, welche der Wichtigkeit des Hebammengeschäftes angemessen ist - das sind Reizmittel, welche durchaus ehrbare, gut erzogene und gebildete Frauen freiwillig zum Hebammendienst heranziehen und zu froher Arbeitsleistung ermuntern werden.

Wir geben deshalb in Nachfolgendem eine Zusammenstellung aus den Taxen, wie solche in verschiedenen Gegenden Deutschlands obrigkeitlich eingeführt sind, mit dem dringenden Ersuchen an die jungen und älteren Familienväter, dieselbe bei der Bezahlung der Hebammen sich zu Herzen zu nehmen. Die Taxansätze sollten überhaupt nur für Arme gelten und sind auch Hülfsleistungen vor der Entbindung, die Besuche im und nach dem Wochenbett, nicht umsonst von der Hebamme zu verlangen.

Gebühren-Taxe der Bezirks-Hebammen
in einigen preußischen Regierungsbezirken (vom Jahre 1874), sowie im Königreich Würtemberg (1875).

1. Für eine leichte, natürlich Entbindung von einer reifen oder unreifen Frucht oder einer Mole: Preußen 2 - 12 Mark (13,60-81,60 Euro), Würtemberg 3 - 6 Mark (20,40-40,80 Euro)

2. Für eine Entbindung, welche durch Entwickelung der Frucht in der Fuß- oder unteren Rumpfendlage beendet worden, oder für die Entbindung von einer mehrfachen Frucht: Preußen 3 - 20 Mark (20,40-136,00 Euro)

3. Für eine natürliche, aber sich verzögernde Entbindung, bei welcher Tag und Nacht (24 Stunden) zugebracht worden sind: Preußen 3 1/2 - 7 Mark (23,80-47,60 Euro), Würtemberg 6 - 10 Mark (40,80-68,00 Euro)

4. Bei längerer Dauer für jede 6 Stunden mehr: Preußen 1 - 1 1/2 Mark (6,80-10,20 Euro)

5. Für eine Entbindung durch Ausführung der Wendung: Preußen 4 1/2 - 9 Mark (30,60-61,20 Euro), Würtemberg 3 - 10 Mark (20,40-68,00 Euro)

6. Für jeden Besuch während der Wochenzeit oder einen außer dieser Zeit verlangten Besuch: Preußen 30-50 Kreuzer (2,04-3,40 Euro), Würtemberg 60 Kreuzer (4,08 Euro)

7. Für einen Nachtbesuch (in der Zeit von 6 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens): Preußen 60-100 Kreuzer (4,08-6,80 Euro)

8. Für eine Nachtwache (während derselben Zeit): Preußen 1 1/2 - 2 Mark (10,20-13,60 Euro), Würtemberg 3 - 6 Mark (20,40-40,80 Euro)

9. Für eine geburtshülfliche Untersuchung: Preußen 1/2 - 1 1/2 Mark (3,40-10,20 Euro), Würtemberg 2 - 3 Mark (13,60-20,40 Euro)

10. Für die Einführung des Katheters Preußen 1/2 - 1 Mark (3,40-6,80 Euro), Würtemberg 2 - 4 Mark (13,60-27,20 Euro)

11. Für das Setzen eines Klystiers: Preußen 30-60 Kreuzer (2,04-4,08 Euro), Würtemberg 80 - 100 Kreuzer (5,44-6,80 Euro)

12. Für eine Einspritzung mit der Mutterspritze: Preußen 40-80 Kreuzer (2,72-5,44 Euro), Würtemberg 80-100 Kreuzer (5,44-6,80 Euro)

13. Für das Setzen blutiger Schröpfköpfe bis zu 8 Stück für jedes Stück
Für das Setzen über 8 Stück blutige, und für trockene Schöpfköpfe wird für jedes Stück nur die Hälfte berechnet. Preußen: 10-15 Kreuzer (0,68-1,02 Euro)
Würtemberg: 6 Stück 200 Kreuzer (13,60 Euro)

14. Für das Setzen eines Blutegels nebst Abwartung der Nachblutung: Preußen 10-15 Kreuzer (0,68-1,02 Euro), Würtemberg 15 Kreuzer (1,02 Euro)
Für das Ansetzen von mehr als 8 Stück wird nur die Hälfte berechnet. Der Preis für die Blutegel ist nicht mit inbegriffen.

15. Für ein Attest: Preußen 1/2 - 1 Mark (3,40-6,80 Euro)

16. Für den Beistand bei einer Operation außer der Entbindungen, nebst Reinigung der Instrumente: Preußen 1 - 1 1/2 Mark (6,80-10,20 Euro)

17. Bei geburtshülflichen Verrichtungen, Besuchen und den genannten Hülfsleistungen außerhalb ihres Wohnortes kann die Hebamme bei über 1/5 Meile (1500 Meter) Entfernung außer ihren Gebühren für Hin- und Rückweg freie Fuhre verlangen, oder für jede halbe Meile: Preußen 40-50 Kreuzer (2,72-3,40 Euro)
Zur Nachtzeit das Doppelte: Preußen 80-100 Kreuzer (5,44-6,80 Euro)

Bemerkungen.

Die bei den Entbindungen (Nr. 1-5) und während der regelmäßig verlaufenden Wochenzeit nothwendigen Untersuchungen und Hülfsleistungen (Nr. 9, 11 und 12) werden außer den Wochenbesuch nicht besonders gerechnet. Nachtwachen sind jedoch besonders zu vergüten.

Das Waschen der Wochen- und Kinder-Wäsche kann nicht verlangt werden, da es kein Geschäft für Hebammen ist.

Außerdem steht es der Hebamme zu, entweder den Gebührensatz für den Besuch (6 und 7) oder den für die Hülfsleistungen zu verlangen. Beide neben einander dürfen nicht besonders berechnet werden.

Uebersteigt daher die Taxe für den Besuch (6 und 7) die für die Hülfsleistung, wie es bei 13 und 14 vorkommen kann, so darf erstere in Ansatz gebracht werden. Sind mehrere Hülfsleistungen bei ein und demselben Besuche nothwendig, so darf nur für eine der volle Satz, für jede der übrigen die Hälfte berechnet werden.

Vorstehende Taxe findet in Ermangelung einer gegenseitigen Vereinbarung in streitigen Fällen und zwar auch dann Anwendung, wenn außer der Hebamme ein Geburtshelfer oder sonstige Hülfe zugezogen worden ist. Die Gültigkeit der einzelnen Sätze innerhalb des gegebenen Spielraums wird vorzugsweise durch die Vermögensverhältnisse der Zahlungspflichtigen und die Dauer und Schwierigkeit der Ausführung bedingt und ist durch die zuständige Behörde festzusetzen.

Bei Unbemittelten und in allen Fällen, wo die Kosten aus öffentlichen Fonds gezahlt werden, hat nur der niedrigste Satz Geltung.

Aerzte und Medizinalbeamte erfüllen eine Pflicht der Humanität, wenn sie in ihren Kreisen sich nach der Bezahlung der Hebammen überhaupt nur erkundigen und wenn sie weiter darauf hin wirken, daß dieselben nicht unter der sehr niedrig bemessenen Taxe sich bezahlen lassen, wie es leider fast überall in Deutschland noch der Fall ist. - Wenn die Hebammen weniger Nahrungssorgen haben, können dieselben mehr um ihre Wöchnerinnen sich kümmern und auch die kleinen Kinder besser pflegen. Kindbettfieber und Kindersterblichkeit werden dann günstiger sich gestalten."

Hülfs- und Schreibkalender für Hebammen, Im Auftrage des deutschen Aerztevereinsbundes herausgegeben von Medicinal-Rath Dr L. Pfeiffer in Weimar, 1879, S.115ff