Von der Wärterin liest man häufig in den Erziehungsratgebern des 19. Jahrhunderts. Sie war allgegenwärtig. Doch was ist eine Wärterin und was sind ihre Aufgaben?

"Wärterin" ist eine alte Bezeichnung für eine Pflegerin oder Helferin jeglicher Art. Es waren Frauen, die sich in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes einer Sache/Aufgabe annahmen. Sie halfen in der Kindererziehung, bei der Geburt, im Wochenbett oder im Haushalt. Sie waren Kindermädchen, Doulas oder Familienhelferinnen. Reiche Familien hatten häufig eine Kindswärterin neben der Amme. Auf diese Weise war die Erziehung des Kindes von der Ernährung getrennt und die Herrschaft machte sich nicht abhängig von der Stillfähigkeit der Amme.

Jede Frau, die nicht zur Kernfamilie gehörte, aber dort pflegende Aufgaben übernahm, wurde als Wärterin bezeichnet. In den oberen Schichten waren sie meist Angestellte, aber in den unteren wurden ihre Aufgaben von anderen Frauen der Familie oder von Nachbarn übernommen. Ob es dafür eine Anerkennung gab, kann ich nicht sagen. Vermutlich war es ein "eine Hand wäscht die andere".

Auf jeden Fall war es weithin anerkannt, dass Mütter im Wochenbett und in der Kindererziehung Unterstützung brauchen. So war die Wahl der Wärterin damals so wichtig wie die Wahl der Hebamme.

"Von nicht viel geringerer Bedeutung ist die Wahl einer Wärterin während des Wochenbettes, und da gute Wärterinnen stets sehr gesucht sind, so sollte man schon in den ersten Monaten der Schwangerschaft für eine solche besorgt sein. Dabei wird man wohlthun, den Termin ihres Eintrittes eher zwei Wochen zu früh als eine Woche zu spät zu bestimmen; denn wie leicht kann sich die Frau in Bezug auf die Niederkunft verrechnen (...)"

Das Buch der Mütter, Marie Susanne Kübler, 1891

"(...) es ist nur das dringend nothwendige Personal in der Gebärstube zu dulden. Zu diesem gehört vorzüglich die Wärterin oder Stellvertreterin, die einige Zeit vor der Entbindung bereits im Hause der künftigen Wöchnerin sein muß, damit sie, an die Oertlichkeiten und Sitten desselben gewöhnt, zur rechten Zeit den rechten Beistand schnell gewähren kann."

Die ersten Mutterpflichten und die erste Kinderpflege, Dr. Friedrich August von Ammon, 1854

Die Unterstützung durch die Wärterin war tags und nachts gegeben.

Der Aufenthalt einer verständigen Aufseherinn oder Wärterinn ist, sowohl bei Tage als bei Nacht, bei den Kindern nothwendig.

Taschenbuch für Mütter, Addolph Henke, 1832

"Wie das Bettchen des Kindes so muß sich selbstverständlich auch das Bett der Wärterin oder Kindsfrau in der Wochenstube oder dem anstoßenden Zimmer befinden."

Das Buch der Mütter, Marie Susanne Kübler, 1891

Die Wärterin hatte beispielsweise nachts die Aufgabe, das Kind nach dem Stillen wieder in sein Bettchen zu legen, insbesondere wenn die Mutter während des Stilens im Bett eingeschlafen war.

Bei der Kinderpflege hatte sich die Wärterin an die Angaben der Mutter zu halten. Sie war nicht dazu da, die Mutter zu belehren. Das galt mit Sicherheit in erster Linie für angestellte Wärterinnen. Ich bin nicht sicher, inwiefern verwandte Wärterinnen sich daran hielten.

"Vor erhitzenden Getränken und Speisen sind Kinder sehr zu hüten. Viele Mütter und noch mehr junge Väter leben in dem Wahne, dieselben durch den Genuß dieser Dinge zu stärken, und nichts ist doch mehr durch die Erfahrung bestätigt, als daß hierdurch die gefährlichsten Entzündungskrankheiten wichtiger Organe, die so viele Kinder schnell tödten, veranlaßt werden. Wenn nun die Mütter und Väter vor Mißgriffen der Art auf das Eindringlichste zu warnen sind, so ergeht zugleich an sie die Aufforderung, darüber zu wachen, daß die Wärterinnen mit den ihnen anvertrauten Kindern keinen Mißbrauch in dieser Hinsicht treiben. Leichtsinnige Personen der Art nehmen, wie hiervon unendlich viele Beispiele bekannt sind, gar oft keinen Anstand, den Kindern von dem Branntwein zu geben, den sie heimlich genießen, oder ihnen, wenn sie nicht ruhig oder lange genug schlafen, durch Darreichung von sogenannten Schlaftropfen, oder Schlafthee (Aufguß von Mohnköpfen) die für ihre Absichten hinreichende Dauer von Schlaf oder Ruhe zu verschaffen. Geistige Getränke sind für Kinder Gift, sie mögen Namen haben, welche sie wollen."

Die ersten Mutterpflichten und die erste Kinderpflege, Friedrich August von Ammon, 1854

Aber selbst bei angestellten Wärterinnen war man vor Einmischung nicht gefeit.

"Da die Mutter in allen Fällen, wo die Niederkunften schnell aufeinander folgen, einer Gehülfinn bei der Wartung und Pflege der Kinder bedarf, so ist die Wahl der Wärterinn für das Wohl des Kindes sehr wichtig. Die s.g. alten Kinderfrauen verdienen nicht immer ihrer angeblichen Erfahrung wegen den Vorzug, denn meistens hängen sie mit Eigensinn und der hartnäckigen Beharrlichkeit an ihren Vorurtheilen, Gewohnheiten u.s.f.; und es ist nicht selten, daß sie, auf ihre Erfahrung trotzend, selbst die Mutter beherrschen und irreführen. Ein junges Mädchen von gutem Charakter, das die Kinder liebt, wird sich meistens leicht zur guten Kinderwartung anführen lassen. Am leichtesten und besten wird die körperliche Pflege des Kindes ohnstreitig in den Familien des Mittelstandes besorgt, wo erwachsene unverheirathete Frauenzimmer der Mutter zur Seite stehen, und das Geschäft mit ihr theilen."

Taschenbuch für Mütter, Addolph Henke, 1832

Doch dürften sich die meisten Wärterinnen liebevoll um die Kleinen gekümmert haben, auch wenn das den Ärzten nicht immer gefiel.

"Beinahe alle Mütter und alle Wärterinnen, mit wenigen Ausnahmen, begehen den sehr großen bereits oben gerügten Fehler, daß sie das Kind gleich von den ersten Tagen seines Lebens an bei dem geringsten Laut, den es ausstößt, oder bei der geringsten Unruhe, welche es zeigt, von seinem Lager aufheben, und durch Schaukeln und Umhertragen auf den Armen beruhigen zu müssen glauben."

Die ersten Mutterpflichten und die erste Kinderpflege, Friedrich August von Ammon, 1854