Jedes Jahr werden weltweit Millionen von Kindern gegen diverse potentiell tödliche Krankheiten geimpft. Die Zahl der Impfschäden ist dagegen verschwindend gering. Da es jedoch keine Wirkung ohne Nebenwirkung gibt, kommt man bei dem Versuch, eine Krankheit auszulöschen, unweigerlich irgendwann an einen Punkt, an dem die Schäden der Impfung zahlenmäßig größer sind als die der Krankheit. Diesen Punkt gilt es zu überwinden. Wenn man statt dessen einen Rückzieher macht und weniger impft, breitet sich die Krankheit wieder aus und man erreicht nie den Punkt, an dem die Impfung unnötig wird.

Krankheiten wie Masern oder Polio treten in Epidemien auf. Das heißt, sie kehren alle paar Jahre in ein Gebiet zurück und befallen dann eine große Anzahl Menschen. In früheren Zeiten, als die Menschen noch nicht viel gereist sind, waren diese Epidemien regional relativ beschränkt, doch heutzutage können sie sich weltweit verbreiten. Wir sehen das gerade an dem Zika-Virus.

Auch die Pocken (Blattern) gehörten zu den epidemischen Krankheiten. Heute sind sie ausgerottet, doch der Weg dahin war beschwerlich. Die Impfungen wurden zwar mit der Zeit immer sicherer, doch hat man lange geimpft, indem man die relativ harmlosen Kuhpocken direkt von einer Kuh oder einem anderen infizierten Menschen auf den Impfling übertragen hat. Geimpfte Personen konnten mitunter durchaus noch an Pocken erkranken, doch verliefen diese weitaus weniger schlimm. Man nannte diese Form der Pocken Varioloiden.

Dennoch starben Menschen nicht nur an den Pocken, sondern auch an den Varioloiden.

Die wahren natürlichen Blattern gehören zu den verderblichsten und tödtlichsten Seuchen, welche das menschliche Geschlecht je gekannt hat.

Nach genauen Berechnungen aus den Sterbelisten des vorigen Jahrhunderts starben in Europa im Durchschnitt jährlich über 450,000 Kinder an den Pocken; in Frankreich jährlich 60,000, im Königreich Preußen 27,000 u.s.f.

Epidemien von Blattern, in welchen von 100 befallenen Kindern nur 10 starben, nannte man gutartig, in bösartigen starben 30 bis 40 Kinder von hundert. Einzelne Aerzte haben wohl behauptet, in unsrer Zeit seien die Menschenblattern überhaupt gelinder, gutartiger geworden, und könnten nicht mehr so verheerend und tödtlich sich zeigen, wie noch in der Mitte und gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts. Daß eine solche Behauptung irrig ist, beweisen aber die Erfahrungen aus der neuesten Zeit.

Im Jahr 1828 herrschten im Sommer in der Stadt Marseille und der umliegenden Gegend wahre Menschenpocken und Varioloiden zu gleicher Zeit. Die mit Kuhpocken geimpften Kinder und jungen Leute, welche angesteckt werden, bekamen die Varioloiden; die Nichtgeimpften die wahren Pocken.

Von 30,000 Geimpften wurden 2000 von den Varioloiden befallen, von denen 20 gestorben sind. Von 8000 Nichtgeimpften bekamen aber 4000 die wahren Menschenpocken, und von diesen starben 1000. - An den Varioloiden starb also von hundert Erkrankten nur einer, an den wahren Menschenpocken aber von hundert fünf und zwanzig.

Es kann nicht leicht einen sicherern Beweis über die Möglichkeit sehr bösartiger Pocken auch in unserer Zeit, so wie über die geringe Tödtlichkeit der Varioloiden geben als diese Thatsachen, die aus amtlichen Berichten der in Marseille im J. 1828 niedergesetzten Commission von Aerzten entlehnt sind.

Nimmt man an, daß von 100 Varioloiden-Kranken einer stirbt, so giebt es außer den sogenannten Wind- und Wasserpocken keine hitzige (mit Fieber begleitete) Ausschlagkrankheit der Kinder, die weniger tödtlich sich zeigt; denn auch bei den gutartigsten Epidemien von Scharlach, oder Masern (Flecken), oder Frießel stirbt von 100 Kranken mindestens einer, wenn nicht einige, - bei weitem mehrere aber, wenn diese Krankheiten mit Nervenfieber verbunden sind, wie allgemein bekannt ist.

Adolph Henke, "Taschenbuch für Mütter", 1832

Die Varioloiden waren also weniger schlimm als Scharlach oder Masern, deren Sterblichkeit Adolph Henke mit mindestens 1 von 100 angibt (Frießel oder Friesel war eine Bezeichnung für jedes Krankheitsbild mit Fieber und Ausschlag). Heutzutage geht man davon aus, dass etwa die Masern in den Industrieländern eine Sterblichkeit von 1 bis 3 pro 10 000 Erkrankten haben. In Entwicklungsländern ist sie mindestens 300 mal so hoch. (Quelle: Schweizer Bundesamt für Gesundheit)

Von Impfgegnern wird gerne angeführt, dass Masern schon vor Einführung der Impfung ihren Schrecken verloren hätten. Das lässt sich nicht bestätigen. Sogar wenn wir davon ausgehen, dass Masern vor Einführung der Impfung seltener geworden wären, so sind sie doch erst jetzt mit moderner Medizin weniger tödlich. Und selbst mit modernster Medizin sterben noch Menschen an den Masern. An der Impfung stirbt niemand. Dasselbe gilt für diverse andere impfbare Krankheiten.

Der Punkt ist doch der: Wenn wir es schaffen, die Masern auszurotten, braucht niemand mehr dagegen geimpft zu werden. Genau wie bei den Pocken. Da es, wie gesagt, keine Wirkung ohne Nebenwirkung gibt, befinden wir uns gerade in einer Zeit, in der die Gefahr durch die Impfung für den einzelnen größer zu sein scheint als die Gefahr von Masern und deren Komplikationen. Ich schreibe "scheint", da in Zeiten großer Mobilität und Impfmüdigkeit solche Krankheiten jederzeit zurück kommen können.

Natürlich will niemand sein Kind einer Gefahr aussetzen und so ist es verständlich, wenn Eltern beim Gedanken an eine Impfung unwohl ist. Doch denken wir eine Generation weiter. Wäre es nicht schön, wenn unsere Enkel nicht mehr geimpft werden müssten?