Heute stelle ich euch einen ganz besonderen Erziehungsratgeber vor. Geschrieben wurde er 1877 von dem ehemaligen Lehrer Dr Karl Oppel. Zunächst einmal ist die Form des Buches bemerkenswert. Karl schreibt darin Briefe an seinen Freund Wilhelm und seine Frau, die vor kurzem zum ersten Mal Eltern geworden sind. Zudem reprodiziert er Gespräche mit Wilhelm und anderen Leuten. Natürlich nutzt er diese Gespräche, um sich selber als Gewinner aus den Diskussionen hervorkommen zu lassen. Aber er zeigt uns dadurch auch, mit welchen anderen Sichtweisen die Menschen sich zu seiner Zeit auseinandergesetzt haben. Und darum fesselt das Buch von der ersten Seite an.

Ihr könnt es hier lesen: Das Buch der Eltern, Dr Karl Oppel, 1877
Praktische Anleitung zur häuslichen Erziehung der Kinder beiderlei Geschlechts vom frühesten Alter bis zur Selbstständigkeit.

Wilhelm und seine Frau halten nicht viel von Pädagogik. Ihre Ideen ähneln dem Laissez-faire-Konzept. Regeln und Gehorsam jeder Art sind ihnen suspekt.

Einleitung
An der Wiege seines vier Wochen alten Söhnchens sitzt seelenvergnügt der Amtmann Wilhelm, und neben ihm steht theilnehmend sein Freund Karl.
„Nun“, hebt  Wilhelm an, und seine Augen strahlen vor Freude, „ist das nicht ein prächtiger Bursche, an dem Gott und Menschen einmal ihre Freude haben können?!“
Karl: Ja, gewiß ein prächtiger Bursche! Nun erziehe ihn nur recht gut.
Wilhelm (sehr ernst und mit Nachdruck): Der wird gar nicht erzogen, sondern der entwickelt sich – und zwar vollkommen frei. Verstanden?
Karl (lächelnd): Nein.
Da erhebt sich Wilhelm von seinem Stuhle, tritt nahe vor seinen Freund hin und spricht: „O, ihr Schulmeister! Meint, ihr müßt eure Finger an alles legen, sonst würde nichts daraus. Meint, das Kind müsse nach Basedow, oder Beneke, nach Herbart, oder  Niemeyer erzogen werden, müsse nach Prinzipien die Kappe abnehmen und die Schuhe abputzen, dürfe ja keinen Schritt und Tritt allein gehen, sondern immer von eurer pädagogischen Hand geführt; schreibt ihm vor, wie es essen und wie es trinken soll, und corrigirt und drechselt so lange an ihm herum, bis die Misgestalt nach eurer Schablone fertig ist!“

Wilhelms Frau findet auch deutliche Worte für ihre Abneigung gegen "brave" Kinder. Doch Karl Oppel stellt klar, das er damit nicht dasselbe meint, wie sie.

Unterdessen ist die Frau Amtmännin eingetreten, hat die letzten Worte noch gehört und spricht voll Eifers: „Warum soll denn gerade unser Junge so brav werden? Lassen Sie doch den ein bischen Wuwatz sein. Es können ja andere Kinder brav werden. So brave Kinder kann ich gar nicht leiden." 
Karl: Sind Ihnen denn schlechte lieber?
Amtmännin: Sie verstehen mich wohl.
Karl: Ja, ich verstehe Sie. Die Wörter „gut, brav“ u. dergl. sind durch die Richtung eines Theiles unserer Geistlichen in Mißkredit gekommen. Diese Herren machten die  christliche Religion zur Religion der Unterwürfigkeit, der Duldung und Geduld, der Knechtschaft und  Zerknirschung und des leidenden Gehorsams. Sie verlangten, daß auch der tüchtigste Mann, der mit Kraft und Erfolg gewirkt, von sich sage, er sei ein „unnützer Knecht“; daß man aus Liebe zum Frieden sich alles gefallen lasse; daß man geduldig trage und schweige in Hoffnung auf die tausendfache Vergeltung im Himmel. So denken Sie auch, ich verstehe unter einem „braven" Knaben einen solchen, der, hübsch still hinter dem  Ofen sitze, und, wenn ihm jemand auf den rechten Backen geschlagen, geschwind auch den linken Backen darbiete; der bei jedem Schritt erst frage: „Soll ich? Darf ich?" der feig ––
Amtmännin (unterbrechend, mit Heftigkeit): Ja, so eine Schlafhaube, so einen Duckmäuser!
Die Mutter hatte in ihrem Eifer zu laut gesprochen, – das Söhnchen erwachte, und das Gespräch war aus.
S.18f

Für Oppel bedeutet Gehorsam nicht Unterwürfigkeit. Er lässt dem Kind seinen eigenen Willen und vor allem seine Menschenwürde.

Ich glaube, es ist recht gut, sich in den Gedanken hineinzuleben, daß man nicht mit dem Kinde machen kann, was man will; daß das Kind auch berechtigt ist und eine Menschenwürde besitzt, die nicht angetastet werden darf.
S.159

Dennoch wird früh im Buch deutlich, dass Gehorsam sehr wichtig für Oppel ist. Das ist für einen Lehrer dieser Zeit auch nicht verwunderlich. Aber im folgenden setzt er sich sehr detailliert damit auseinander, wann, warum und wodurch Gehorsam durchgesetzt werden solle. In diesen Details unterscheidet er sich gravierend von den üblichen Generalisten, die Gehorsam um des Gehorsams Willen fordern, und das Kind als den Erwachsenen untergeordnet betrachten. Für Oppel dient der Gehorsam zum einen der Sicherheit des Kindes und zum anderen zum Vereinfachen des Alltags, damit die Mutter vom Erziehen keinen Burn-Out bekommt.

Erziehen ist nicht leicht, strengt an, reibt auf, darum muß die Mutter auch ihre Stunden der Ruhe und Ausspannung haben; sie darf ihre Kräfte nicht zu schnell verbrauchen, sondern muß sie zu Rathe halten für kommende Zeiten und für die Tage und Nächte, da sie nöthiger und unentbehrlicher ist, als im Alltagsleben. Hat sie ihre Kraft verbraucht, so lange die Kinder gesund waren, was will sie thun, wenn diese krank werden? Wenn sie nachts an ihrem Bette wachen soll? Hat sie ihre Nerven so empfindlich gemacht, daß sie durch Alles gereizt, geängstigt, aufgeregt wird, - was haben die Kinder davon? Wer nimmt sich ihrer jetzt an, wenn die Mutter gar nicht mehr um ihre Lieben sein kann?
S.83

Als ein Beispiel führt Oppel an, dass es bei einem Kind ja noch möglich sei, stundenlang mit Engelszungen auf es einzureden, wenn es Abends nicht ins Bett wolle, aber wenn die Mutter vier Kinder bettfertig machen müsse, brauche sie einen pragmatischeren Ansatz. Und dieser besteht für Oppel im Durchsetzen von Anweisungen. Das ist es, was er Gehorsam nennt. Er warnt aber auch, dass Eltern nur dort Gehorsam verlangen können, wo er durchsetzbar ist. Zum Beispiel dem Kind kann dem Kind gegen seinen Willen der Schlafanzug angezogen werden, aber es kann nicht gezwungen werden, mit dem Weinen aufzuhören. In solchen Fällen sei es besser, dem Kind eine Wahl zu lassen.

Beim Befehlen ist die allergößte Vorsicht geboten. Oft ist es besser, dem Kinde die Wahl zwischen zwei Dingen zu lassen, als eines direct zu befehlen. Weint und schreit das Kind, weil ihm Etwas nicht nach seinem Köpfchen geht, - es ist gewagt, ihm Schweigen zu gebieten, wenn man sich nicht vorher klar darüber ist, wie man dieses erzwingen kann. In einem solchen Falle ist es besser, zu sagen: „Höre, das Weinen kann ich hier nicht brauchen; entweder mußt du damit aufhören, oder hinüber in’s Kinderzimmer gehen; da kannst du weinen, so lange du willst.“
S.231

Haben die Eltern dennoch einmal etwas befohlen, bei dem sie einsehen müssen, dass ein Gehorsam nicht durchgesetzt werden kann, so sollen sie den Befehl so schnell wie möglich zurücknehmen. Machtkämpfe müssen vermieden werden, denn so haben die Eltern immer die Überhand.

Es ist leicht möglich, daß Vater oder Mutter Etwas befiehlt, was nicht zu erzwingen ist, dann ist entschieden das Beste alsbald zurückzugehen und es nicht erst auf ein Abmessen der geistigen Kraft, der Energie und Ausdauer ankommen zu lassen.
S.234

Das Erziehen zum Gehorsam ist für Karl Oppel ein Mittel, um sowohl physische als auch psychische Gewalt zu verhindern. Beides widerspricht für ihn der Menschenwürde.

Kinder sind aber auch noch nicht zurechnungsfähig, entbehren der nöthigen Einsicht und Erfahrung, wissen nicht, was ihnen selbst gut und heilsam, oder gefährlich und verderblich ist, darum müssen die Eltern sie überwachen, leiten und führen, halten und beschützen, Etwas lernen lassen und sie tüchtig machen, in Zukunft selbst für sich zu sorgen. Das können sie aber nicht, wenn die Kinder nicht nach ihrem, sondern nach eigenem Willen leben und handeln; und darum entreißen sie denselben einen Theil ihrer Menschenrechte und geben ihnen denselben erst nach und nach zurück, je nachdem sie geschickt werden, den rechten Gebrauch davon zu machen. Sie verlangen von den Kindern Gehorsam und dürfen und müssen ihn verlangen, soweit diese noch nicht zurechnungsfähig sind, und soweit es sich um irgend eines empfindenden Wesens Wohl, oder Wehe handelt, aber auch nicht darüber hinaus.
Ein gesundes Kind läßt sich jedoch nicht ohne Weiteres seiner Selbstbestimmung berauben und soll Das auch nicht; die Eltern müßten also stets physische Gewalt anwenden, und das Gehorchen hätte ein Ende, wo diese Gewalt aufhörte; darum ist es nöthig, daß die Kinder zum Gehorsam erzogen werden.
S.219

Kinder zu beschämen, um ihnen ein bestimmtes Verhalten auszutreiben, war zu Oppels Zeiten eine verbreitete und empfohlene Praxis. Oppel verurteilt dies.

Da ich von den nur in der Schule und nicht im elterlichen Hause gebrauchten Strafen, Carcer etc. absehe, so komme ich nun zur letzten Art der Strafe, nämlich zu der welche sich an das Ehrgefühl des Zöglings wendet, also Beschämung erzielt.
Mit diesen Strafen sei man sehr vorsichtig und bedenke, daß von einem ehrlosen Menschen Nichts mehr zu erwarten ist. Man schone das Ehrgefühl des Kindes, suche die Selbstachtung zu heben, und vermeide Alles, was in dem Kinde das Gefühl der Herabsetzung oder gar der Beschimpfung erwecken könnte!
S.313

Karl Oppel hat eine ausgesprochen positive Sicht auf Kinder. Schlechte Anlagen gibt es für ihn nicht im Menschen. 

Der Mensch ist ausgerüstet mit den verschiedensten Anlagen und Fähigkeiten, Trieben und Neigungen; alle sind durchaus unschädlich; sind wohlthätig, wenn sie gut geleitet werden und mäßig auftreten, sind verderblich, wenn sie zum Übermaße ausarten und in verkehrte Bahnen lenken.
S.22

Auch der Ungehorsam ist keine schlechte Eigenschaft, sondern ein Recht des Kindes.

Der Mensch ist zur Freiheit geboren, nicht zur Knechtschaft; wer seinen Willen jederzeit bereitwillig dem eines Anderen unterordnet, von Dem ist nicht zu hoffen, daß er je - auch nur annähernd - werde, wie er sein soll, daß er je die Würde des Menschen in sich zur Anschauung bringe.
S.219

Dabei halte immer im Auge, daß der Ungehorsam deines Kindes nichts Schlechtes ist; im Gegentheil, er ist ein Zeichen von Kraft und Selbstständigkeit, und du willst es ja auch nur soweit zum Gehorsam bringen, als dir dieser zu des Kindes Erziehung nöthig ist, und weil auch der Erwachsene gehorchen können muß.
S.224

Dabei ist Oppel klar, dass es keine allgemeingültigen Regeln für die Erziehung gibt. Kein "wenn du A tust, wird dein Kind B werden". 

Man hört so häufig: „Die beiden Brüder hatten die gleiche Erziehung; der eine ist ein Ehrenmann geworden, der andere ein Taugenichts, — warum?“  –  Antwort: Weil die  Erziehung, wie sie die Eltern gaben, für den einen paßte und für den andern nicht.
S.15

Das ist auch ein Grund, warum Karl Oppel die Kindererziehung und somit die Mutterschaft für enorm anstrengend hält. Hierin liegt die Basis für den Pragmatismus des Gehorsams. Wenn das Kind weiß, der Schlafanzug wird angezogen, wenn die Mutter das sagt, wird das Kind bald gehorchen.

Oppel sieht zwar die Mutterschaft als eigentliche Bestimmung der Frau an, aber das heißt für ihn noch lange nicht Selbstaufgabe. 

Aber Eines möchte ich doch sehr entschieden hervorheben: Die Frau, die Mutter, hat (in der Regel) auch noch Anderes zu thun, als blos Kinder zu erziehen, und dieses Andere soll sie auch nicht verabsäumen. Es ist leicht gesagt: „Die Mutter soll ihre Kinder nicht von sich lassen“; es klingt gar erhaben: „Die Bestimmung der Mutter ist, in ihren Kindern aufzugehen, sich den Kindern zu opfern“, aber weise ist auch Dieses nicht. Das wäre ja eine sonderbare Bestimmung! Die Mutter opfert sich den Kindern, diese opfern sich den Enkeln, und die hinwiederum den Urenkeln, und so würde das Leben der Menschheit nur eine Kette von Opferungen; das menschliche Dasein wäre nicht mehr Freude, Genuß, Glück, sondern nur ein großes immerwährendes Opfer.
S. 81

Zudem vetritt Oppel vehement die Meinung, dass Frauen den Männern nur in körperlichen Berufen unterlegen seien. In allen anderen Berufen könnten sie genauso gut, wenn nicht besser sein. Dass das im Leben kaum vorkomme, wirft er der Vernachlässigung der schulischen Bildung der Mädchen vor. Oppel fordert eine bessere Ausbildung, damit Frauen ihren Beruf frei wählen können, und das obwohl er sie letztlich am liebsten als Mütter und Hausfrauen sehen möchte. Gebildete, berufstätige Frauen sind für ihn dennoch ein Gewinn für die ganze Gesellschaft.

1) Die Erziehung der Mädchen ist von der allergrößesten Wichtigkeit, weil sie es  sind, die als Mütter den Grund legen zur Bildung der kommenden Generation; weil sie es sind, die dem kommenden Geschlechte die erste Richtung geben.
2) Die  Mädchen sind nach Geist und Gemüth nicht geringer beanlagt, als die Knaben; in den ersten Schuljahren eilen sogar die Mädchen sehr oft den Knaben voraus, fassen und begreifen leichter, als diese, und rücken schneller vorwärts.
3) Das dauert so lange sie Kinder sind; wenn sie aber Fräulein werden, bleiben sie häufig zurück. Doch ist das nicht ihre Schuld, sondern die Schuld Derer, welche ihre Erziehung und ihren Unterricht leiten. Aber schließlich kommt es dahin, daß sie nicht ebenbürtig neben dem Manne stehen. (...)
4) Ihr Schulunterricht muß eben so gründlich, eben so gegediegen sein, und  namentlich muß ihrer formellen Ausbildung alle Aufmerksamkeit und Sorgfalt zugewendet werden. (...)
5) Es ist aber auch nöthig, daß in der häuslichen Erziehung Vieles geändert wird; daß man die Mädchen länger Kinder sein läßt, Eitelkeit und Putzsucht energisch bekämpft, nie den bloßen Schein duldet, sondern immer auf das Wesen dringt und jede Schmeichelei verbannt. Sie müssen lernen, was des Menschen Bestimmung auf Erden ist  und speciell die Aufgabe der Frau; müssen ihren Werth nicht nach der Länge der Schleppe und der Höhe des Kopfputzes schätzen, sondern nach ihrer Herzensgüte, und nicht verlangen, mehr geehrt zu werden, als der Mann, sondern gleichberechtigt und gleich geachtet neben ihm zu stehen.
Das ist die rechte Emancipation der Frau, die mit keinen Gefahren verknüpft ist und nur Segen bringen kann. Gebt dem weiblichen Geschlechte, was ihr ihm so lange vorenthalten habt; es wird selbstständig werden, euch in jeder geistigen Beziehung gleich stehen, und den Segen davon werden Kinder und Kindeskinder ernten. Wie ihr eure Töchter erzieht, so werden sie sein als Frauen und Mütter, und der besten Erziehung und Bildung ist würdig die künftige Mutter.
S.493ff

Karl Oppel zeigt sich auch in der Erziehung sehr fortschrittsorientiert. Für ihn erzieht jede folgende Generation besser als sie selbst erzogen wurde. 

Man sagt oft: „Großmütter sind die schlechtesten Erzieherinnen“, und Das ist gewiß in mehrfacher Beziehung wahr. Nicht nur, daß sie durch ihre Zärtlichkeit die Enkelchen verwöhnen, daß es ihnen (, wenn sie schon älter sind,) an der nöthigen Kraft und Energie fehlt; - man muß doch verlangen, - und im Großen, Ganzen ist es ja auch so, - daß die Kinder vollkommener sind, als die Eltern, und daß es demnach eine Hemmung, ein Anhalten des Fortschrittes ist, wenn nicht Vater und Mutter, sondern die Großeltern die Erziehung regeln. Wobei sich jedoch von selbst versteht, daß es sehr vortreffliche Großmütter gibt, die entschieden segensreich auf die Erziehung der Kleinen einwirken.
S.110

Gerne verzeihe ich Dr Oppel, dass er von Säuglingspflege nichts versteht. Diese nimmt nur einen sehr kleinen Teil des Buches ein und er vertritt die zu seiner Zeit übliche Meinung, dass Schreienlassen nichts schlimmes sondern regelrecht ein Bedürfnis des Kindes sei. Schreien sei halt das einzige, was ein Säugling tun könne, und so sollen die Eltern ihn ruhig lassen. Das Kind früh an einen Rhythmus zu gewöhnen, sieht er als Beginn der Erziehung zum Gehorsam. Als Lehrer fehlt ihm da einfach die Kompetenz, sich eine fundierte eigene Meinung zu bilden. 

Dafür hebt er sich mit seinen Ansichten zum Gehorsam umso mehr von seinen Zeitgenossïnnen ab! Sein Begriff des Gehorsams deckt sich nicht mit dem, was wir allgemein darunter verstehen. Und seine Zeitgenossïnnen forderten meist blinden Gehorsam, den sie mit Strafen aller Art durchsetzen wollten. Zwischen den Zeilen lese ich, dass Karl Oppel sich mit dem, was wir heute als Attachment Parenting oder Bindungsorientiert verstehen, sehr gut anfreunden könnte. Das zeigt nur wieder einmal, wie wichtig es ist, sich mit der Sprache auseinander zu setzen. 

Oppel fordert Gehorsam nur da, wo er wirklich sein muss. Im Detail lässt sich darüber streiten, wo er sein muss. Beim Schlafanzug muss er es vielleicht nicht, aber beim Zähneputzen schon. Aber Oppel überlässt es auch den Eltern, die eigenen Prioritäten zu setzen! Er gibt nicht vor, was wichtig ist, und er betont, dass es bei unterschiedlichen Kindern unterschiedliche Dinge sein können.

Alles in allem ist dieses Buch ein bemerkenswertes Zeitdokument, und ich kann Euch nur empfehlen, es zu lesen. Die folgenden drei Zitate möchte ich Euch auf jeden Fall noch mitgeben.

Von den natürlichen Trieben und Neigungen des Menschen sind keine an und für sich schlecht.
Wenn das Kind ihnen gemäß lebt, ist dabei weder Sünde noch Tugend.
Sie müssen so belebt und gestärkt, oder auch gemäßigt und endlich in ein solches gegenseitiges Verhältniß (in Harmonie) gebracht werden, daß sich die menschliche Gesellschaft wohl dabei befindet.
Recht ist für den Menschen, was er als Recht erkennt; Unrecht, was ihm als Unrecht erscheint.
Tugendhaft ist der, welcher seinen natürlichen Trieben entgegen das thut, was er für Recht hält.
Was für uns Erwachsene Sünde wäre, ist es nicht für das Kind, weil dieses noch nicht unsere Einsicht hat.
S.153f

Eine Erfahrung ist mehr werth, als ein Befehl.
S.238

Meine Ansicht ist die, daß alle Belobungen und Belohnungen in der Erziehung schädlich sind und darum vermieden werden müssen.
Nicht zu verwerfen ist die Anerkennung.
S.254