Dieser Artikel erschien zuerst in der Deutschen Hebammen Zeitschrift (DHZ) 8/2010

"Schläft es denn schon durch?" Welche Mutter hätte diese Frage wohl noch nicht gehört? Ausreichend Schlaf zu bekommen, ist für alle Menschen ein wichtiges Bedürfnis. Kein Wunder also, dass der vermeintlich obligatorische Schlafmangel eine der Hauptsachen ist, die man mit der Anwesenheit eines neuen Erdenbürgers in Verbindung bringt. Zwar kann man davon ausgehen, dass die Frage nach dem Schlafen meist als Smalltalk oder aus echter Sorge um die Mutter gestellt wird. Dennoch ist es wichtig, in welchem gedanklichen Zusammenhang die Frage aufkommt. Denn allzu oft wird geraten, das Kind doch mal schreien zu lassen, dann hätte man schon bald seine Ruhe.

Leise Signale hören

Es ist gesellschaftlich akzeptiert, ja es wird von den Müttern sogar gefordert, ihre innere Stimme zu unterdrücken, die ihnen sagt "Tröste das Kind! Hilf ihm!" Mütter, die das nicht können, werden belächelt. Mütter, die das nicht wollen, werden als Glucken diffamiert. Es gibt Erziehungsratgeber ausschließlich zum Thema Schlaf. Sogenannte Schlaflernprogramme nutzen das Schreienlassen als Strategie. Hier gilt Durchschlafen als Erziehungsziel. Und bitte im eigenen Zimmer, schließlich muss das Kind selbstständig werden! Schläft das Kind nicht durch oder gar im Elternbett, haben die Eltern scheinbar versagt.

Das menschliche Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit wird dem Kind des Nachts ebenso wenig zugestanden wie ein vom Erwachsenen verschiedener Schlafrhythmus. Das Kind soll lernen, so zu schlafen, wie es seinen Eltern gefällt. Woher kommt das? Wie wurden die Kinder früher gebettet?

Der berühmte Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland, Begründer der Makrobiotik und Arzt so illustrer Persönlichkeiten wie Goethe, Schiller und Herder sowie Gründer der ersten Poliklinik in Berlin, schrieb 1830, dass die Kinder mit einem halben Jahr "an gewisse Zeiten des Schlafs" gewöhnt werden könnten. Man solle den Kindern zeigen, dass die Nacht zum Schlafen da sei, indem man alle "äußeren Eindrücke" wie Licht und Geräusche entferne. Besonders wichtig sei es, "ihren Aufforderungen zum Herausnehmen, zum Trinken u. dgl. nicht sogleich Gehör zu geben." Hufeland setzt also darauf, dass sich das Kind von selbst wieder beruhigt. Auffällig ist, dass er von "Aufforderungen" spricht. Offensichtlich sind hier auch leisere Signale als das Schreien gemeint. Wenn aber das Kind sich nicht allein beruhigt, dann wird ihm geholfen (Hufeland 1830). Ähnliches schreibt 1832 Adolph Henke, Professor der Medizin in Erlangen und königlich Bayerischer Hofrat. Er betont, dass es für die Bequemlichkeit der Mutter und die Gesundheit des Kindes gleichermaßen vorteilhaft sei, dem Kind das Trinken in der Nacht wenn möglich ganz abzugewöhnen. "Auch darf keine zärtliche Mutter fürchten, daß sie dem Kinde dadurch schade, wenn sie ihm nicht sogleich jedesmal, wenn es erwacht oder schreiet, die Brust reiche. Hat die Mutter Ueberwindung und Ausdauer genug dem Kinde nur einige Nächte hindurch die Brust nicht zu geben, und es auf andere Art zu beschwichtigen, so gewöhnt es sich meistens sehr bald daran" (Henke 1832, S. 90). Keinesfalls ist hier also von Schreienlassen die Rede, wie wir es aus heutigen Schlaflernprogrammen kennen.

Von Henke erfahren wir auch, dass stillende Mütter ihre Kinder in der Regel bis zur Entwöhnung rund um die Uhr bei sich haben. Und auch später noch gilt: "Der Aufenthalt einer verständigen Aufseherinn oder Wärterinn ist, sowohl bei Tage als bei Nacht, bei den Kindern nothwendig." (Henke 1832, S. 162). Weder bei Henke noch bei Hufeland ist es ein Thema, wie man das Kind zum Schlafen bringen kann. Im Gegenteil: Henke und andere verurteilen die Praxis, den Kindern schlaffördernde Mittel zu geben, darunter auch Branntwein oder Opiate. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Verwendung dieser Mittel nur Ammen und Kinderwärterinnen, nicht aber den Müttern vorgeworfen wurde. Die Mütter wurden aufgefordert zu kontrollieren, ob ihre Ammen "solche gewissenlosen Personen" sind (Klencke 1875, S.158), die den Kindern "Arzneien und andere Mittel, welche Schlaf machen sollen" verabreichen (Henke 1832, S.205). Diese Mittel seien "unbedingt verwerflich und höchst nachtheilig für das Kind" (ebenda). Henke betont, dass man das Kind nicht mit "Kunstgriffen" irgendeiner Art zum Schlafen bewegen soll. "Will das Kind nicht schlafen, hilft ein gelindes Wiegen oder ein langsames Hin- und Herfahren des Korbwagens nicht, so wende man keine andern Künste an, den Schlaf herbeizuführen" (Henke 1832, S. 173). Dann ist das Kind eben wach.

Eigenes Bett bei der Mutter

Anscheinend lebten viele Eltern in der Sorge, ihr Kind könne sich "dumm schlafen". Sowohl Hufeland als auch Henke wiesen deutlich darauf hin, dass diese Sorge unbegründet sei und man die Kinder ausschlafen lassen solle (Hufeland 1830, S.90; Henke 1832, S. 172). Dennoch hielt sich dieses Vorurteil lange, denn selbst der Arzt und populärwissenschaftliche Schriftsteller Hermann Klencke geht in seinem Buch "Die Mutter" noch darauf ein; über 40 Jahre nach Hufeland und Henke (Klencke 1875).

Überhaupt liest sich das Kapitel über Schlaf bei Klencke fast so, als hätte er von Hufeland und Henke abgeschrieben. Das gilt besonders für die ersten Abschnitte, in denen er auf die Schlafmenge, auf das Ein- und Ausschlafen eingeht. Er fügt noch hinzu, dass das Kind, "wenn es nicht an der Brust eingeschlafen ist, wachend in sein Bett niedergelegt werde, sobald seine Schlafenszeit herangekommen ist" (Klencke 1875, S. 157). Hermann Klencke fordert, dass jedes Kind von Anfang an sein eigenes Bett haben soll. Dieses steht für gewöhnlich in demselben Zimmer, in dem auch die Mutter schläft.

Das Gewöhnen an regelmäßige Schlafenszeiten darf nun jedoch nicht mehr erst mit sechs Monaten beginnen, sondern darf dann bereits abgeschlossen sein. Diese Gewöhnung wird unterstützt durch die "Tagesordnung des Stillens" (Klencke 1875, S. 154).

1883 schreibt der Spezialarzt für Geburtshilfe, Frauen- und Kinderkrankheiten Dr. med. Ernst Kormann aus Coburg, dass man bereits Kinder im Alter von einem Vierteljahr ans Durchschlafen gewöhnen könne. Man solle ihnen abends um zehn Uhr und dann erst wieder morgens zwischen fünf und sechs Uhr Nahrung geben. "Durst leiden soll kein Kind in der Nacht und da es hilflos ist, so soll man in dieser Hinsicht nicht unbarmherzig sein, aber der Hunger braucht beim größern Säugling nicht auch in der Nacht befriedigt zu werden" (Kormann 1883, S. 194).

Von der Norm zum Störfall

William Thierry Preyer, ein in Deutschland wirkender englischer Physiologe (1841-1897), schrieb 1882 das Buch "Die Seele des Kindes". Damit schuf er ein für die Entwicklungsphysiologie und -psychologie bis heute bedeutendes Werk. Darin beschreibt Preyer die gesunde Entwicklung des Kindes in den ersten drei Lebensjahren auf Grundlage von Beobachtungen vieler Kinder, darunter auch sein eigener Sohn. Dessen Schlafverhalten führt er als Beispiel für eine normale Entwicklung an. Denn sie zeige deutlich, wie die Gesamtschlafdauer abnehme und die Dauer des zusammenhängenden Schlafes zunehme.

"Im ersten Monat dauerte der Schlaf ohne Unterbrechung nicht oft länger als zwei Stunden; von 24 Stunden wurden trotzdem wenigstens 16, meistens viel mehr verschlafen. Im zweiten Monat kam oft ein dreistündiger, selten ein fünf- bis sechsstündiger Schlaf vor. Im dritten Monat schläft das Kind oft vier, manchmal fünf Stunden hintereinander, ohne wach zu werden. Im vierten Monat dauert der Schlaf oft fünf bis sechs Stunden, die Nahrungspause drei und vier Stunden (gegen zwei Stunden früher). Einmal währte der Schlaf neun Stunden. Im sechsten Monat sechs- bis achtstündiger Schlaf nicht selten. Im achten Monat unruhige Nächte (wegen des Zahnens). Im 13. Monat in der Regel 14 Stunden Schlaf täglich in mehreren Abtheilungen. Im 17. Monat begann erst das Durchschlafen: zehn Stunden ohne Unterbrechung. Im 20. Monat wurde es zur Gewohnheit und das Schlafen bei Tage auf zwei Stunden reducirt. Vom 37. Monat an dauerte der nächtliche Schlaf regelmäßig elf bis zwölf Stunden jahrelang, und der Schlaf bei Tage war nicht mehr erforderlich." (Preyer 1895, S. 106). Die Schweizerin Marie Susanne Kübler war Autorin mehrerer erfolgreicher Ratgeber für Hausfrauen und Mütter. 1891 schreibt sie in ihrem Werk "Das Buch der Mütter" einerseits, das "Bett oder die Wiege sollte möglichst nahe dem Bette der Mutter (...) gestellt werden" (Kübler 1891, S. 98). Andererseits hält sie einen hinlänglich langen Schlaf der Mutter von acht bis neun Stunden für ein "unerläßliches Bedürfnis" (Kübler 1891, S. 61). Eine durch Schlafmangel geschwächte Frau laufe Gefahr, dass die Milch versiege, und solle in einem anderen Zimmer schlafen. "Indessen braucht die Mutter, die sich mehrere Stunden von ihrem Säugling trennt, auch hier nur den Winken der Natur zu gehorchen, die sie durch ein eigenthümliches in ihrer Brust sich zeigendes sympathetisches Gefühl, das Milchstechen genannt, zur rechten Zeit mahnen wird, zu ihrem nach seiner Ernährerin verlangenden Kinde zurückzukehren." (Kübler 1891, S. 61). Die Mutter merkt hier nicht durch Signale des Kindes, dass sie es stillen sollte, sondern durch das Gefühl in ihrer Brust. Selbst wenn also die Mutter in einem anderen Zimmer schläft als ihr Kind, um dadurch mehr Schlaf zu bekommen, so heißt das nicht, dass Mutter oder Kind durchschlafen. Das Schlafenlernen ist in Küblers umfangreichen, über 400 Seiten starken Werk überhaupt kein Thema. Sie schreibt lediglich, dass die Mutter sich die Nachtruhe sichert, indem sie das Kind noch einmal stillt, bevor sie selbst zu Bett geht und dann erst wieder, wenn es gegen Morgen erwacht (Kübler 1891, S. 56).

Unabhängig von der Schlaffrage ging derweil eine Entwicklung vor sich, die die Nachtruhe von Mutter und Kind in Zukunft beeinflussen sollte. Es ging darum, zwischen den Mahlzeiten bestimmte Zeitabstände einzuhalten. Sie wurden für immer wichtiger erachtet und immer energischer eingefordert. Entstanden sind diese Forderungen aus Überlegungen, die die Gesundheit des Kindes und den Erfolg des Stillens betreffen. Doch bald kamen erzieherische Aspekte hinzu. Wurde das Thema Schlaf in den Ratgebern und Lehrbüchern bisher unter "Entwicklung und Pflege des Säuglings" abgehandelt, so wanderte es nun in die Rubriken "Stillen" oder "Erziehung". Auf einmal wurde das Schlafen zum Problem und die Kinder wurden zum Störfall.

Einflussnahme der Politik

"An eine achtstündige Nachtpause wird das Kind am besten sehr bald gewöhnt. Es gibt Säuglinge, bei denen auch bei richtiger Pflege ein durchgehender Nachtschlaf nicht zu erreichen ist. Diese Kinder stören durch stundenlanges Schreien die Nachtruhe ihrer Angehörigen oder ihres Pflegepersonals. Wenn wir derartige Schreikinder durch eine Nachtmahlzeit zur Ruhe bringen können, greifen wir im Interesse des Kindes und seiner Umgebung zu diesem Mittel", schreibt der Leipziger Dr. Otto Köhler 1921 in "Der Säugling - Seine Entwicklung, Pflege und Ernährung" (Köhler 1921, S.25).

Das war neu und musste erst von Autoritäten wie Ärzte, Hebammen oder Krankenschwestern durchgesetzt werden. So war beispielsweise Köhlers Werk unter Mitwirkung des Sächsischen Ministeriums des Innern entstanden. Die erste Auflage wurde vom Ministerium aufgekauft und an die Hebammen, Säuglingspflegerinnen und Bezirkspflegerinnen in Sachsen verteilt. Die Politik hatte begonnen, Einfluss auf die heimische Erziehung zu nehmen. "Das Maß der Ernährung, das Aufnehmen auf den Arm usf. sind Maßnahmen, die von der Mutter oder Pflegerin bestimmt werden. Das Kind hat sich mit seinen Wünschen unterzuordnen. Es bietet oft Schwierigkeiten, eine Mutter von dieser Grundregel zu überzeugen." (Köhler 1921, S. 53). Man beachte, dass hier von "Wünschen" gesprochen wird!

Am besten überzeugt man Mütter, etwas mit ihren Kindern zu machen, indem man ihnen darlegt, dass sie dem Kind andernfalls schaden. Genau das geschah in der Folgezeit. "Die Nachtruhe ist wichtig für Mutter und Kind. Sie muß streng eingehalten werden, damit sich beide erholen können. Besonders wichtig ist, daß das Kind, selbst wenn es schreit, nachts nicht angelegt wird. Denn gerade dann kommt es meist zur Überfütterung und dadurch bedingten Krankheiten." So der Kinderarzt Dr. Philipp Niemes (Niemes 1933, S. 39 ff.). "Neugeborene Kinder melden sich auch in der Nacht. Diese Nachtmahlzeit ist für das Kind überflüssig und für die Mutter störend", war im "Lehrbuch der Wöchnerinnen- Säuglings- und Kleinkinderpflege" von Prof. Dr. Walter Birk und Prof. Dr. A. Mayer im Jahr 1930 zu lesen (Birk & Mayer 1930, S. 186). Das Verhalten des Kindes ist somit nicht nur ungesund, sondern geradezu falsch und muss abgestellt werden. Der Einfluss des Nationalsozialismus ist hier unverkennbar. Das Kind - wie es ist - ist fehlerhaft und muss dazu gebracht werden, sich anzupassen. Insofern war die "Erziehung zum Durchschlafen" ganz klar politisch motiviert.

Sobald das Schlafverhalten als Problem etabliert war, waren auch Kniffe und Tricks erlaubt, um das Kind zum Schlafen zu bringen. "Man suche sie (die Nachtmahlzeiten) deshalb den Kindern allmählich im Laufe des ersten Lebensvierteljahres abzugewöhnen, indem man sie nicht weckt, wenn sie die Mahlzeit mal zufällig verschlafen haben, indem man ferner versucht, sie - wenn sie schreien - nur trocken zu legen, und im übrigen abwartet, ob sie sich danach nicht von allein beruhigen, indem man sie mit einigen Löffeln Tee über die Mahlzeit hinwegzutäuschen versucht, oder indem man ihnen vor der letzten Mahlzeit am Abend (10 Uhr) ein 20 Minuten langes, 35° C warmes Bad verabfolgt, um sie ordentlich müde zu machen." (Birk & Mayer 1930, S.186). "Auch in lauwarmes Wasser getauchte dünne Söckchen, die über die Füße gestreift und mit dickeren wollenen Socken überzogen werden, bewähren sich in jedem Alter als schlafförderndes Mittel. Sie werden im allgemeinen angenehmer empfunden als lauwarme Brustwickel, die eine ähnliche Wirkung ausüben, gegen die sich sensible und nervöse Kinder jedoch oft sträuben. Auch etwas gut gesüßter Baldriantee oder starkes Zuckerwasser, eine halbe Stunde vor dem Einschlafen verabfolgt, beruhigt das Nervensystem und fördert den Schlaf." (von Seht 1939, S. 55) Auch das Wecken der Kinder war nun erlaubt, um den Schlaf vom Tag auf die Nacht zu verlegen.

Wenn alle Tricks nichts nutzten, musste die Mutter dazu gebracht werden, die "Nachtruhe" durchzusetzen, indem man sie bei ihrem Ehrgefühl packte. "Das heroischste Mittel für eine junge Mutter ist, daß sie das Kind - wie man sagt - durchschreien läßt." (Birk & Mayer 1930, S.186). Die Mutter als Heldin, die das Geschrei ihres Kindes ignoriert. Das Kind war nun nicht mehr das Hilflose, dem man in der Nacht wenigstens zu trinken gab. Es war "der kleine Quälgeist(, der) dann nachts, ausgeruht und voller Übermut, seine Mätzchen macht." (von Seht 1939, S. 54). Das Schlafen war ein Machtspiel geworden. Das Kind war der Feind, der besiegt und unterworfen werden musste. Dieses Bild zieht sich wie ein roter Faden durch die Erziehung im Nationalsozialismus.

Offenbar war der Druck auf die Mütter noch nicht groß genug. Man musste sich eine weitere Autorität zur Hilfe holen: den Vater des Kindes! So machte es auch der Kinderarzt Philipp Niemes: "Das Kind schreit, wenn es sonst gesund ist, höchstens zwei oder drei Nächte durch. Dann gewöhnt es sich an die Nachtruhe zum Vorteile für sich selbst, für die Mutter und die ganze Umgebung! (Dies besonders auch den Vätern zur Kenntnis!)" (Niemes 1933, S. 39 ff.).

Vom Schlafproblem zur -störung

Nun lag es auch nicht mehr fern, aus dem Schlafproblem eine Schlafstörung zu machen. Es wurde von Schlaflosigkeit gesprochen. Die Kinderärztin Dr. med. Luise von Seht widmet in ihrem Buch "Kinder - Glück und Sorge der Mutter" ein ganzes Kapitel dem Problem "Das Kind schläft nicht". Sie schreibt: "Zum Schluß möchte ich noch betonen, daß Schlaflosigkeit im Kindesalter nicht als harmloses Symptom gedeutet und unbehandelt bleiben darf." (von Seht, S. 56). Dies alles geschah, obwohl man seit Preyer wusste, wie die normale Schlafentwicklung von Säuglingen und Kleinkindern aussieht.

Der Wunsch nach einer ungestörten Nacht ist vermutlich so alt wie das Schlafen selbst. Der Umgang mit Störungen, insbesondere durch Kinder, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die gravierendste Veränderung jedoch fand erst im 20. Jahrhundert statt. Zwar hat man auch davor schon versucht, das Schlafverhalten der Kinder zugunsten dem der Erwachsenen zu beeinflussen, doch wurde das Schlafen erst im 20. Jahrhundert pathologisiert und instrumentalisiert.

Die Menschenfeindlichkeit des Nationalsozialismus spiegelte sich in allen Bereichen des Lebens wider. Bis heute spüren wir die Nachwirkungen. Auch gutmütige, wohlwollende Eltern sind davor nicht gefeit. In dem Wunsch, alles richtig zu machen, greifen sie auf das unsägliche, aber allseits bekannte und anerkannte Mittel des Schreienlassens zurück. Der Druck und die Erwartungen der Umwelt sind dabei oft ausschlaggebend. Obwohl sie das Schreien kaum ertragen können und sie sich dabei überhaupt nicht wohl fühlen, sind sie überzeugt, zum Wohle des Kindes zu handeln. Das wird ihnen suggeriert. Die traurige Wahrheit sieht jedoch anders aus. Das Schlafenlernen ist ein Euphemismus dafür, dass das Kind lernt, sich bedingungslos und vollkommen unterzuordnen.

Eine liebevolle Betreuung der Kinder muss auch in der Nacht selbstverständlich sein. "Schläft es denn schon durch?" "Nein, natürlich nicht", antwortet die Mutter freundlich. "Sie haben Recht," lächelt das Gegenüber wissend, "dafür ist es noch viel zu klein."