In einem meiner allerersten Artikel habe ich beschrieben, wie sich das Wochenbett seit 1830 verändert hat. Das Baby wurde erst aus dem Bett, dann aus dem Zimmer der Wöchnerin verdrängt. Dies hatte nachhaltige Wirkung auf das Bonding. Treibende Kraft bei dieser Entwicklung waren die Ärzte (kein generisches Maskulinum). Umso bemerkenswerter, dass in diesem Text eines Geburtshelfers aus dem Jahr 1842 deutlich auf den positiven Einfluss des gemeinsamen Wochenbettes auf das Bonding hingewiesen wird. 

Zunächst einmal beschreibt der Autor Thomas Lederer das ideale Wochenbett.

"Nach der ersten, oben beschriebenen Bekleidung wird das neugeborne Kind in sein natürliches Lager an die Seite der im Wochenbette liegenden Mutter gebracht. Unter derselben Decke dort mit ihr ruhend, wird es, ohne noch an ihrem Busen zu saugen, von ihrer erhöhten und naturgemäß ausströmenden Lebenskraft und Wärme umgeben, sich eines behaglichen Zustandes und erquickenden Schlafes erfreuen, und bei seinem Erwachen durch keine Bande gefesselt, instinktmäßig nach der Quelle seiner Nahrung und seines Gedeihens streben. Die Freiheit, mit der es seine Glieder bewegen kann, wird bald die Entwickelung ihrer Muskelkraft, ingleichen die thierische Wärmeerzeugung seines Körpers befördern, und während seine Haut, dem Einflusse der Mutterwärme zugänglich, sich zu ihrer ferneren Verrichtung ausbildet, wird der Säugling, in selten unterbrochenem Schlafe heranwachsend, der Mutter die nöthige Ruhe gewähren, deren sie, um ihrer Bestimmung Genüge leisten zu können, dringend bedarf."

Es ist bemerkenswert, dass Lederer erkennt, dass ein gemeinsames Wochenbett sowohl dem Kind, als auch der Wöchnerin mehr Ruhe verschafft. Wir wissen heute, dass sich die Schlafrhythmen von betreuender Person und Baby einander anpassen, wenn sie beieinander schlafen, insbesondere wenn zudem gestillt wird. Dies steht im Kontrast zu späteren Ärzten, die behaupteten, das Kind müsse weg von der Mutter, damit diese Ruhe haben könne. Da wurde das Kind zum Störfaktor erklärt und die Mutter-Kind-Dyade ignoriert.

Thomas Lederer hingegen will das Kind so viel wie möglich neben der Mutter sehen.

"In den ersten neun Tagen, welche die Mutter der allgemeinen Regel nach im Bett zubringen soll, werde das Kind nur zum Baden, Reinigen und Ankleiden von ihrer Seite genommen, und dann sogleich wieder in sein Lager gebracht. Kann sich aber die Mutter in der zweiten Woche dem Bette schon mehrere Stunden des Tages entziehen, so wird sich der Säugling, wenn für die erforderliche Zimmerwärme gesorgt ist, an die äußere Luft allmälig um so leichter gewöhnen, als seine eigene Hautausdünstung nach und nach hervortritt, und die übermäßigen Eindrücke künstlich erwärmter trockener Luft mildert. Außerdem wird die Zeit, in welcher er am Busen der Mutter sich sättigt, so wie ingleichen die Nacht, welche er gewohnter Weise schlafend an ihrer Seite zubringt, ihm die während des Tages eingetretene Entbehrung erleichtern und verkürzen."

Die Neugeborenenphase wird heute gern das "vierte Trimester" genannt, weil das Baby sich erst langsam an das Leben außerhalb des Bauches gewöhnt und diese Umstellung durchaus Stress bedeuten kann. Lederer sieht, dass dieser Stress viel geringer ist, wenn die Mutter nur nach und nach das Wochenbett verlässt. Im Alter von 9 Tagen können Babys schon viel besser ihre eigene Temperatur halten. Genau das beschreibt Lederer hier und er betont, wie wichtig es für das Baby ist, nachts "Mama zu tanken". 

In den gehobenen Schichten - und für diese waren die frühen Erziehungsratgeber geschrieben - war es zu Lederers Zeiten bereits weit verbreitet, Mutter und Kind zu trennen. Für Lederer ist das Kindesmisshandlung.

"Es thut abermals Noth, eine Mißhandlung zu rügen, die dem neugebornen Kinde sehr oft widerfährt. Es wird nämlich aus seinem natürlichen Lager verdrängt, und von der Nähe seiner Mutter entfernt. Kaum geboren und schmerzhaft gefesselt, wird es meist sogleich in ein abgesondertes, mit Wärmflaschen erhitztes Bett gebracht, um in diesem, wie Krokodileier von der Sonnenglut, völlig ausgebrütet zu werden; so muß es ein einsames Leben mit der ersten und schmerzlichsten Entbehrung der mütterlichen Nähe und Wärme beginnen."

Und jetzt widmet Thomas Lederer sich dem Bonding. Natürlich benutzt er nicht diesen Begriff, aber die Beschreibung in dieser alten Sprache passt genau. Die Einheit, die Elter und Baby im Wochenbett bilden, ist eine aus ungestörten Abläufen entstehende Anziehung.

"Es ist bereits in der vorigen Abtheilung des wechselseitigen Verhältnisses zwischen Mutter und Kind gedacht werden, so wie der Nothwendigkeit dieses thierisch-magnetischen Zusammenlebens. Es ist hier der Ort, mehrere jener früheren Andeutungen näher zu entwickeln, um das Schädliche und Unnatürliche der leider so oft stattfindenden Trennung zwischen Mutter und Kind vollständig darzuthun."

Das tierisch-magnetische Zusammenleben ist eine Notwendigkeit. Die Trennung der Dyade ist schädlich. 

Für diese Zeit ist das eine absolut herausragende Erkenntnis. "Tierisch" bezieht sich darauf, dass es ein biologisch vorgesehenes Phänomen ist. "Magnetisch" bezeichnet die Anziehung, die Elter und Kind erfahren. Diese Formulierung zergeht auf der Zunge.

Das tierisch-magnetische Zusammenleben ist eine Notwendigkeit. Die Trennung der Dyade ist schädlich. Und Lederer erklärt uns auch warum.

"Diese, durch Vorurtheile, ungegründete Besorgnisse, Lieblosigkeit, Bequemlichkeit der Aeltern und insbesondere der Väter, die den Klageruf ihres Kindes scheuen, fortgepflanzte Gewohnheit wird vorzüglich von den Kinderwärterinnen und Hebammen durch folgende Vorwände vertheidigt. Sie behaupten, der bei der Mutter liegende Säugling gewöhne und kette sich zu sehr an dieselbe, könne nach ihrer Entfernung nur mit Mühe beruhigt werden, sei dabei der Gefahr ausgesetzt, von der schlafenden Mutter erdrückt zu werden; auch habe der Kindbettfluß und der verstärkte Schweiß der Wöchnerin auf die Gesundheit des Kindes einen schädlichen Einfluß. Sorgfältige Beobachtungen entkräften alle diese Scheingründe."

Dieser Abschnitt verdient eine genaue Betrachtung. Zunächst einmal dürften diese Argumente euch allen bekannt vorkommen. Es sind dieselben, gegen die wir ankämpfen mussten, als wir das gemeinsame Wochenbett wieder eingeführt haben. Es sind dies nur Vorurteile und unbegründete ("ungegründete") Besorgnisse. Dazu zählt Lederer die Sorge vor "zu enger" Bindung, vor Erdrückung und gesundheitlichen Schäden.

Doch er erwähnt auch die "Bequemlichkeit der Eltern und insbesondere der Väter, die den Klageruf ihres Kindes scheuen". Was hat es damit auf sich? Wie erwähnt, geht es hier um wohlhabende Eltern. Diese haben Personal, das sich um die Kinder kümmern kann. In vielen Familien übernahmen Dienstleute "das Gröbste" bei den Kindern. Wenn die Eltern nicht wollen, brauchen sie das Weinen ihres Kindes nicht zu hören. Das findet nämlich in der Kinderstube statt und insbesondere der Vater hält sich dort nicht auf. Eine gute Bindung kann so nicht entstehen. Die Eltern mögen ihre Kinder lieben, aber diese Liebe findet auf einer distanzierten Ebene statt. Das zeigt sich mitunter auch an Formulierungen in zeitgenössischen Ratgebern, wie: "die Mutterfreut sich am Besitz ihrer Kinder". 

Das Problem ist, dass es schwierig ist, Eltern zu erklären, wie sich eine gute Bindung anfühlt, wenn diese zwar Liebe, aber nicht Bindung kennen. Das ist nämlich nicht dasselbe und wir müssen uns hüten, mangelnde Bindung mit Lieblosigkeit gleichzusetzen, wie Lederer es zu tun scheint, oder Bindung mit tieferer Liebe. Eltern fühlen sich verständlicherweise schnell angegriffen, wenn ihnen unterstellt wird, sie würden ihre Kinder nicht (genug) lieben. 

Lederer macht sich nun daran, die Vorurteile. Zuerst dem der zu großen Nähe. So etwas gibt es seiner Meinung nach nicht. Nähe ist natürlich, denn ohne sie ist das Baby völlig hilflos.

"Rücksichtlich der ersten Behauptung ist es allerdings wahr, daß der Säugling, gleichwie das junge Thier, durch Hülfsbedürftigkeit an seine Mutter gekettet ist, und daß sich aus diesem ersten stillen Zusammenleben eine Gewöhnung Beider an einander bildet. Aber dieß ist auch für die Mutter einer der wichtigsten, ihre reinsten Gefühle entfaltenden Zeitabschnitte, während dessen sich die ersten, unzertrennlichen Fäden jener magischen, über das irdische Leben hinausreichenden Bande der Liebe weben, die kein Verhältniß der Zeit und Fügung des Schicksals fortan zu zerreißen vermögen. Da nur Schmerz oder Nichtbefriedigung eines Bedürfnisses dem Säuglinge Jammertöne entpreßt, und dieser dennoch, obwohl zu jenen bei dem gesund gebornen und zweckmäßig gepflegten Kinde keine Ursache vorhanden ist, bei der Entfernung seiner Mutter in Unruhe geräth, so gibt es hiedurch das Bedürfniß nach der Nähe der Mutter und ihrer Lebenswärme gewiß deutlich zu erkennen. So blökt das von seiner Mutter getrennte Lamm, es zittert der unreife, dem Neste entrissene Vogel, selbst das junge Hausgeflügel kommt um, wenn es zu früh der Mutter entzogen wird. Sollte dieß nicht zum augenscheinlichen Beweise dienen, daß dem ersten Zusammensein eine physische Nothwendigkeit zu Grunde liege? Und deutet im Allgemeinen nicht schon die Einrichtung der Natur, welche die weibliche Fruchtbarkeit in die Periode der Lebensblüthe setzte, so wie insbesondere der starke Trieb gedeihlicher Säfte nach den Brüsten und der Haut der Wöchnerin, vor Allem aber die stille und behagliche Ruhe, in die jedes Kind übergeht (selbst ohne zu saugen), wenn es nur an die Seite der Mutter gelegt wird, auf diese Nothwendigkeit hin?"

Lederer erkennt, dass menschliche Nähe genauso ein Bedürfnis für den Säugling ist, wie Nahrung, Schlaf und Sauberkeit. Mehr noch; er sagt, dass jeder Ton des Babys einen Grund hat. Er redet nicht nur vom Schreien, sondern explizit auch vom Jammern. Das ist außergewöhnlich. Zwar haben auch andere zeitgenössische Autoren, wie z.B. Hufeland und Henke 1830/32, in ihren Büchern geschrieben, dass Säuglinge gern in der Nähe ihrer Mutter und anderer Erwachsener seien, aber sie sahen das Schreien als lästige Angewohnheit.

"Ich habe durchaus bemerkt, daß die Kinder, auf deren Schreien man sehr hörte, auch am meisten geschrieen haben, dahingegen die, auf die man weniger achtete, sich dasselbe bald abgewöhnten, und ich kann hier nicht umhin, die allgemeine Bemerkung, die sich mir durchaus bestätigt hat, beizufügen, daß überhaupt eine gar zu ängstliche und genaue Aufmerksamkeit auf Kinder das gewisseste Mittel ist, sie physisch und moralisch zu verkrüppeln."
Guter Rath an Mütter, Christoph Wilhelm Hufeland, 1830

Nicht so Thomas Lederer. Für ihn gilt, dass das Baby nur weint, wenn es etwas hat, und dass es umgekehrt dann ruhig ist, wenn wirklich alle Bedürfnisse befriedigt sind.

Was die Angst um das Erdrücken des Babys angeht, nimmt Lederer auch wieder auf die Natur Bezug.

"Untersuchen wir den zweiten Einwurf.
Schon an der Behutsamkeit, mit welcher die Thiermütter ihre Jungen bedecken und schirmen, sehen wir, welches Sicherungsmittel ihnen die Fürsorge der Natur zum Besten ihrer Neugebornen verliehen hat. Sogar bei unseren, in mancher Hinsicht abgearteten Hausthieren, besonders bei denen, die nur ein Junges oder zwei haben, findet höchst selten eine Beschädigung oder Erdrückung von Seiten der Mutter Statt. Sollte denn das menschliche Weib mit einem schwächeren Muttergefühle, mit minderer natürlicher Wachsamkeit, ihr Kind zu schützen, begabt sein, als die Thiermutter?"

Zu Lederers Zeiten galt ein anderes Verständnis von Natur als heute. Einerseits galt die Natur unfehlbar. Andererseits galt der Mensch als die Krone der Schöpfung und sollte sich mit seinem Verstand über alle animalischen Triebe und Instinkte erheben. Nicht so bei Lederer. 

Aktuelle Schlafforschung hat nachgewiesen, dass Personen, die sich für das Baby in der Nacht verantwortlich fühlen, einen sogenannten "Ammenschlaf" haben und sich tatsächlich unbewusst auf das Baby einstellen. Genauso, wie wir uns im Schlaf bewusst sind, wo das Bett zuende ist, und nicht rausfallen, sind wir uns auch bewusst, wo das Baby liegt, und legen uns nicht drauf. Lederer ahnte diese "natürliche Wachsamkeit", wie er es nennt.

Im nächsten Abschnitt ist von "unverdorbenden Frauen" die Rede. Das ist nicht etwa moralisch gemeint, sondern als "gesund" oder auch "bindungsfähig".

"Die unwiderstehliche Empfindung unverdorbener Frauen, die, von dem ersten Laute des neugebornen Kindes auf’s Lebhafteste gerührt, dasselbe unter freudigem Ausrufe mit der innigsten Zärtlichkeit an ihre Herz schließen, die ängstliche, sie selbst im Traume beschäftigende Sorgfalt für dessen Wohl und Pflege, beweiset hinlänglich, wie sehr auch sie von dem mächtigen Gefühle mütterlicher Liebe ergriffen und durchdrungen sind. Ueberdieß bestätigt die Erfahrung, daß sowohl unter der armen Volksklasse, als auch in öffentlichen Gebärhäusern, das Erdrücken des neben der Mutter liegenden Kindes zu den sehr seltenen Vorkommnissen gehört. Denn obgleich das Kind bisweilen entseelt neben der Mutter gefunden wird; so ist daran in den wenigsten Fällen die Erdrückung, in weit mehreren irgend ein organischer Fehler, oder die äußerst verkehrte Bekleidung Schuld."

So traurig das auch ist, aber manchmal sterben Babys. Und wenn viele neben ihren Müttern liegen, sterben auch welche neben ihren Müttern liegend. Im 19. Jahrhundert gab es ja auch noch nicht die ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen wie heute. Viele Krankheiten blieben unerkannt.

Es ist gut, dass Lederer dies so offen anspricht, denn zu behaupten, es würde nicht passieren, würde seine Glaubwürdigkeit unterminieren. Die Tradition, das Baby bis zur Unbeweglichkeit einzuwickeln, konnte ihm im Familienbett durchaus zum Verhängnis werden, da es sich z.B. nicht befreien konnte, wenn sein Gesicht sich in ein Kissen grub. Lederer nennt noch ein anders Beispiel.

"Indem nämlich diese das auf dem Rücken liegende Kind an jeder freithätigen Bewegung hindert, dringt bei öfterem Erbrechen die ausströmende Flüßigkeit in die Luftröhre, worauf häufig durch Erstickung der Tod erfolgt. Man kann sich jeden Augenblick überzeugen, daß das ungefesselte, gesunde Kind seine Glieder und Stimme, wie jedes junge Thier, zur Andeutung und Entfernung aller ihm lästigen oder Gefahr drohenden Empfindungen gebraucht, sich schon dadurch zum Theil vor anhaltenden Verletzungen sichernd, sollte diese von der Nähe der Mutter ausgehen."

Es noch weitere Risikofaktoren beim Co-Sleeping. So stellt alles, was die Aufmerksamkeit der Betreuungsperson herunter setzt, stellt ein Risiko dar, z.B. Übermüdung, Drogen und Alkohol. Zu Lederers Zeiten dürfte das Co-Sleeping jedoch deutlich mehr Leben gerettet als gekostet haben.

"Zugegeben endlich, daß in einigen seltenen Ausnahmsfällen wirklich Kinder von sorglosen, dumpfsinnigen, berauschten Müttern erdrückt worden sind. Kann diese im Verhältniß zum Ganzen geringfügige Anzahl die Rücksicht für so viele Tausende aufheben, welche durch die höchst schädliche Trennung von der Mutter an Gesundheit und Leben beeinträchtigt worden sind?"

Zuletzt widmet sich Lederer der Sorge, dass der Wochenfluß oder der Schweiß der Wöchnerin nachteilig für das Kind sein könnten.

"In Betreff der Meinung, es sei der Wochenfluß und die vermehrte Ausdünstung der Mutter dem Kinde nachtheilig, ist schon früher bemerkt worden, daß das Wochenbett kein Krankheitszustand, sondern die vermehrte Ausdünstung der Mutter eine nothwendige Folge der nach der Oberfläche des Körpers strömenden Säfte der lebenskräftigen Bewegung der Haut und der Brüste ist. Welch ein Irrthum, zu glauben, daß Säfte, die bis zur Geburt zur Ernährung des Kindes dienen, plötzlich, ohne vorhergegangene Krankheit, eine ihm verderbliche Eigenschaft annehmen sollten; da der Wochenfluß bei reinlich gepflegten Wöchnerinnen nicht den geringsten unangenehmen Geruch, oder eine sonst schädliche Wirkung äußert. Zeigt aber eine oft bestätigte Erfahrung, daß die Nähe gesunder junger Personen von einem belebenden Einflusse auf alte, kraftlose Menschen ist; so können wir mit Zuversicht annehmen, daß auch die erhöhte, von der Natur selbst vermittelte Ausdünstung der Mutter die schwache Lebenskraft des neugebornen Kindes anfachen und vermehren werde."

In der Tat ist der direkte Hautkontakt eines der stärkendsten Mittel für Neugeborene. Skin-to-skin und Känguruhn sind heute aus der Neu- und Frühgeborenenpflege nicht mehr wegzudenken.

Doch nicht nur für das Baby ist die Trennung von der Mutter von Nachteil, wie Lederer im folgenden korrekt beschreibt. Die Notion späterer Ärzte, dass eine von ihrem Baby getrennte Mutter Ruhe hätte, ist kaum nachzuvollziehen für alle, die das Wochenbett kennen.

"Aus diesem Gesichtspunkte wird uns die Absonderung des Kindes von der Mutter nicht nur als eine Uebertretung des Naturgesetzes, sondern zugleich als ein grausames, die natürliche Entwickelung des Säuglings hemmende Verfahren erscheinen. Ueberdieß muß die für das Kind nachtheilige Trennung für jede gefühlvolle Mutter quälend, bisweilen auch für sie selbst höchst nachtheilig werden. Denn das Geschrei des Kindes bringt selbst in der Entfernung ihren Körper und ihr Gemüth in Unruhe; Sorge und Angst verscheuchen ihren Schlaf, die hiedurch gestörte Eßlust, mangelhafte Verdauung und Ernährung vermindern in kurzer Zeit die Absonderung der Milch, und verändern ihre Beschaffenheit, das verwelkende Ansehen des unzureichend genährten Kindes wird bald die Mutter noch schmerzlicher bestrüben, und sie endlich bei dem besten Willen zum Selbststillen untauglich machen."

Auch wenn dies längst nicht das erste Plädoyer fürs Co-Sleeping ist, das ich lese, - selbst Hufeland war im Wochenbett dafür - so ist es doch das ergreifendste, da Thomas Lederer so viele Dinge richtig erkennt, die andere zu seiner Zeit schon abgelehnt haben, und die wir erst durch Studien nachweisen mussten, um sie wieder zu etablieren. Er erkannte das Bonding, die Mutter-Kind-Dyade, das Bedürfnis von beiden nach Nähe und die Mechanismen, die Co-Sleeping sicher machen. Andere zeitgenössische Autoren erkannten das ein oder andere ebenfalls, aber niemand hat es so schön und treffend formuliert. 

Das tierisch-magnetische Zusammenleben ist eine Notwendigkeit. Die Trennung der Dyade ist schädlich.

Alle Zitate aus:
Mutter und Kind oder Schwangerschaft, Entbindung, Wochenbett, deren Verlauf und naturgemäße Pflege des Kindes in den ersten Lebensjahren mit Berücksichtigung der herrschenden Vorurtheile und Mißbräuche unserer Zeit, Thomas Lederer, 2. verbesserte und vermehrte Auflage, Wien, 1842