Als Abstillen verstehen wir den Prozess von der allerersten Gabe von Beikost bis zum allerletzten Mal Stillen. Das Abstillen kann daher über einen sehr langen Zeitraum hinweg geschehen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Beikosteinführung mit 6 Monaten und Abstillen nicht vor dem 2. Geburtstag. Vor dem ersten Geburtstag abzustillen empfiehlt heute eigentlich niemand mehr.

Das war nicht immer so. Lange Zeit waren sich die Ärzte einig, dass 9 Monate nicht nur die beste, sondern die natürliche Stilldauer sei. Meist leiteten sie diese "Natürlichkeit" von der Dauer der Schwangerschaft ab. Andere Argumente für diese Zeit waren die Beendigung der ersten Zahnungsphase (die ersten 8 Zähne) oder die angebilche Unfähigkeit von Frauen, länger Milch zu produzieren.

Schon die anderen Bezeichnungen für das Abstillen (ein relativ neuer Begriff) lassen eine andere Herangehensweise erkennen. Wo das Abstillen ein vom Kind ausgehender Prozess sein kann ("es stillt sich ab"), steht hinter "Entwöhnen" immer eine willentliche Entscheidung. In aller Regel ist die Mutter die treibende Kraft beim Entwöhnen. Doch in den sehr seltenen Fällen, in denen tatsächlich davon gesprochen wurde, dass das Kind sich selbst entwöhne, wird dies als "freiwilliges Entwöhnen" bezeichnet. Auch hier wird also ein Wille, eine Absicht zugrunde gelegt.

Darüber, wie lange das Entwöhnen dauern sollte, gab es sehr unterschiedliche Meinungen. Die meisten (jedoch längst nicht alle) Ärzte empfahlen im 19. Jahrhundert ein "langsames" Abstillen. Allein aus der Empfehlung, "langsam" abzustillen, lässt sich jedoch keine Dauer ableiten. Liest man die Empfehlungen genauer, so wurden mitunter schon 4 Wochen als "langsam" bezeichnet.

Das "langsame" Entwöhnen steht dort im Kontrast zum sogenannten Absetzen, bei dem tatsächlich willkürlich ein Tag bestimmt wurde, von dem an das Baby nicht mehr gestillt wurde. In Teilen der Bevölkerung war das ein übliches Verfahren. Wobei die Menge der bis dahin eingeführten Beikost stark variierte. Das Absetzen war meist ein Abstillen zur Flasche hin.

Zeitpunkt des Abstillens

"Die Natur hat dir selbst die Zeit bestimmt, während der dein Kind an der Mutterbrust Nahrung finden soll. Neun Monate lang hast du es mit deinem Herzblut ernährt, und die gleiche Zeit sollst du es an deiner Brust nähren."
Lexikon der Kinderstube, J.von Wedell, um 1890

 

"Die Natur hat wohl im Allgemeinen den Zeitpunkt angedeutet, wo das Kind zu entwöhnen ist. Das Erscheinen der ersten Zähne beweist nämlich, daß von diesem Zeitraum an, dem Kinde eine festere Nahrung ein Bedürfniß sey."
Taschenbuch für Mütter, Adolph Henke, 1832

 

"Was nun das Entwöhnen im Allgemeinen betrifft, so gilt es als alte Regel, daß keine Frau länger als 9 Monate stillen soll. Meist verbietet sich dies, wenigstens in den Städten, von selbst, da die wenigsten unserer Frauen für so lange Zeit ausreichenden Milchvorrath haben."
Das Buch von der gesunden und kranken Frau, Dr. med. Ernst Kormann, 1883

 

Jede Mutter also sollte, wenn nicht gegründete Ursachen - ich erkenne nur Krämpfe und schwache Lungen als solche an - es verbieten, ihrem Kinde die Brust geben; wenn es seyn kann, 9 Monate lang, genug, bis die ersten Zähne durchgebrochen sind. Ist es nicht so lange möglich, was freilich bei der jetzt herrschenden Schwäche oft der Fall ist, so ist es doch für Mutter und Kind besser, wenn es wenigstens die ersten acht oder zwölf Wochen die Nahrung von seiner Mutter erhält, und nun schadet es ihm schon weniger, wenn es den Uebergang zur künstlichen Nahrung macht.
Guter Rath an Mütter, Christoph Wilhelm Hufeland, 1830

Freiwilliges Entwöhnen

"Wichtig für die Mutter und für das Kind ist das Entwöhnen desselben, das Absetzen desselben von der Brust. Je nachdem die Natur oder die Kunst hieran mehr oder weniger Anteil hat, ist eine freiwilllige oder natürliche Entwöhnung, bei welcher das Kind aus eignem Antriebe die Brust verläßt, sich selbst entwöhnt, und eine gezwungene oder künstliche, bei welcher dem Kinde die Brust entzogen wird, zu unterscheiden. Der Zeit nach, zu welcher das Entwöhnen eintritt, kann man ein rechtzeitiges und nicht rechtzeitiges annehmen. In jenem Falle findet das Entwöhnen um den neinten bist höchstens zwölften Monat nach der Entbindung statt. In diesem kann es zu frühe oder zu spät stattfinden. Jenes kann man das frühzeitige, dieses das verspäteteEntwöhnen nennen."
Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Busch, Dieffenbach, Hecker, Horn, Jüngken, Link, Müller (Hrsg), 29. Band (Recorporatio - Säugegeschäft), 1842

 

"Gesunde Säuglinge stillen sich zwischen dem 10. und 12. Monate von selbst ab. Als physiologische Abstilltermine können gelten:
4.-6. Monat: von der Brust zum Löffel
10.-12. Monat: von der Brust zur Tasse.
Nur ein geringer Prozentsatz aller stillenden Mütter erreichen derart ausgiebige Stillperioden."
Lüders: Lehrbuch für Kinderkrankenschwestern, Band 1 Das gesunde Kind und theoretischer Teil, 1990

Entwöhnen von der Amme

"Bei der Amme muß das Kind schon nach einen halben Jahre entwöhnt werden, wenn sich nicht die Liebe des Kindes von der Mutter auf die Amme wenden soll. Ueberhaupt geht das Entwöhnen leichter nach dem halben Jahre, als später von statten, da das Kind nicht leicht Brust und Ernährerin vergeßen kann."
Ueber die Erziehung und Behandlung der Kinder in den ersten Lebensjahren, Dr Christian August Struve, 2. vermehrte und verbesserte Auflage, 1803

 

"Was in Rücksicht auf das jähe Entwöhnen bei der Ernährung durch die eigene Mutter gesagt worden ist, gilt auch in vollem Umfange für die Ernährung durch die Amme. Hier muss umso eindringlicher wieder darauf hingewiesen werden, als manche Mutter, zum Theil nicht ohne Grund, den Tag nicht erwarten kann, an dem sie die Amme los wird. Dr. Coriveaud sagt, dass alle französischen Aerzte darüber einig seien, dem Säuglinge erst zwischen dem zwölften und dem fünfzehnten Monate die Brust gänzlich zu entziehen, während man bei uns nicht selten die Amme nach neun Monaten aus dem Hause jagt."
Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner Kinder?, Dr. Ernst Brücke, 1892

Zu schnelles Abstillen

"§. 228. Beym Abspänen oder Entwöhnen von der Brust werden auch Fehler begangen, welche der Mutter und dem Kinde nicht selten tödtlich sind. Man sagt nicht ohne Grund, wenn man sich nach und nach in etwas schickt: »ich habe mir es angewöhnt,« und umgekehrt, wenn man von etwas läßt: »ich habe es mir abgewöhnt.« Das sollte auch bey diesem Acte gelten, wenn man ein kleines Kind von der Muttermilch zu einer andern Nahrung bringt; allein hier thut man gerade das Gegentheil. Man pflegt auf ein Mahl den Säugling von der Brust zu reißen, und mit Speisen zu füttern, an denen schon ein gewöhnter Magen schwere Arbeit hätte. Daß dieser schnelle Wechsel dem Kinde schädlich ist, läßt sich wohl leicht begreifen, und daß dieses schnelle Aufhören des Säugens den Müttern und den Ammen unleidliche Schmerzen, und unberechenbare Nachtheile für ihre Gesundheit, auch in der Zukunft bringt, lehrt die traurigste Erfahrung; denn es ist nicht möglich, daß der Zufluß dieser nährenden Flüssigkeit der so lange nach dieser Quelle floß, nun auf einmahl, ohne alle üble Folgen sich wo anders hin wenden sollte. Der schon angewöhnte Zufluß dauert fort, und weil der Ausfluß nicht mehr gestattet wird, so stocket die Milch, die Drüsen schwellen an, entzünden sich, und gehn, selbst die Schmerzen abgerechnet, in Eiterungen über, aus denen gar oft krebsartige Geschwüre, und Zehrfieber entstehen und den Tod herbeyführen."
Über physische Erziehung des Menschen. Zweyte oder dietätische Abteilung. Lorenz Novag, Wien, 1823

 

"Betreff der Beendigung des Stillens lassen sich manche Mütter durch zu schnelles Entwöhnen Fehler zu Schulden kommen. Wie es in der Natur keine schroffen Uebergänge giebt, so verletzt auch jedes schnelle Ueberspringen von einem Extrem zum andern das organische Leben; sollte der erfolgende Nachtheil nur gering sein, so macht doch die Anhäufung der Milch in den Brüsten beim plötzlichen Entwöhnen einige leidenvolle Tage; auch auf das Kind kann das plötzliche Vertauschen der bisherigen Nahrung mit einer fremden nicht wohlthätig wirken: die Entwöhnung geschehe daher nach und nach ( wo möglich im Frühlinge oder Herbste). Die Mutter reiche dem Kinde immer seltner die Brust, je öfter dasselbe fremde Nahrung erhält, so dass sie, um das Entwöhnen einzuleiten, wenigstens sechs Wochen dazu gebraucht."
Inauguralschrift über das Selbststillen, Dr. Joseph Buchner, München, 1839

 

"Wir müssen nun auch noch auf die Art des Entwöhnens näher eingehen. Nur diejenige Mutter (oder Amme) thut völlig Recht, welche diesen wichtigen Akt des kindlichen Lebens nicht plötzlich, sondern allmälig, d. h. binnen 3-4 Wochen vollzieht"
Das Buch von der gesunden und kranken Frau, Dr. med. Ernst Kormann, 1883

Zu langsames Abstillen

"§. 272.
Das Entwöhnen des Kindes geschieht am passendsten zu der Zeit, nachdem die Schneidezähne alle durchgebrochen sind, also im zehnten Lebensmonat des Kindes in der Regel. Das Kind wird einige Tage hindurch immer seltener und dann gar nicht mehr angelegt. Das Entwöhnen auf mehrere Wochen oder selbst Monate auszudehnen ist nicht gut. Denn wenn die Milch in den Brüsten nun anfängt zu versiegen, so wird sie schlechter und bekommt dem Kinde nicht. Schwellen der Mutter beim Entwöhnen die Brüste stark an, so müssen sie, wie früher gelehrt, mit Oel und Watte bedeckt und namentlich gut unterstützt werden, die Frau muß dabei eine knappe Kost beobachten, und für täglichen reichlichen Stuhlgang sorgen."
Lehrbuch der Hebammenkunst, Dr Bernhard Sigmund Schultze, 1864

Zu langes Stillen

"Wird das Stillen länger, ja sogar über ein Jahr fortgesetzt, so wird die Frau meistens nachteilige Folgen davon verspüren, die zwar nicht gleich, sondern nur sehr langsam auftreten und sich anfangs in einem Gefühl von Ziehen und Schwäche im Rücken, in Abspannung und Erschöpfung, besonders nach dem jedesmaligen Trinken des Kindes kund geben. Dabei verliert sich der Appetit, die Stillende wird blaß und magert ab, oft tritt ein allgemeiner Schwächezustand ein, der von Herzklopfen, Schwindel, Kopfweh, Abnahme des Gedächtnisses und der Sehkraft, zuweilen von Abweichen, nächtlichen Schweißen und Anschwellung der Füße begleitet ist, was alles durch ein die Körperkräfte der Mutter berücksichtigendes und zeitgemäßes Entwöhnen vermieden werden kann."
Das Buch der Mütter, Marie Susanne Kübler, 1891

 

"Es gibt manchmal Mütter, denen die volle Abstillung nicht gelingt. So werden zwei- und dreijährige Kinder, ja manchmal sogar Schulkinder, teilweise gestillt. Hier handelt es sich um einen schweren Erziehungsfehler, der das Kind körperlich und geistig schädigt."
Das Kind – Der Mutter Glück, der Mutter Sorge, Karl Planner Wildinghof, 1943

Aberglaube

"Auf gewisse Tage im Calender, auf Mondsviertel, auf das Ausschlagen der Bäume u. s. w. beym
Entwöhnen Rücksicht zu nehmen, ist lächerlich und wird nur noch bey abergläubischen, bejahrten und wenig gebildeten Menschen getroffen."
Ueber die physische Erziehung der Kinder in den ersten Lebensjahren, Dr. Friedrich Ludwig Meißner, Leipzig, 1824

 

"Der in einigen Gegenden von Deutschland herrschende Glaube, ein Kind dürfe nicht während der Blüthenzeit der Bäume entwöhnt werden, ist ohne allen Grund."
Taschenbuch für Mütter, Adolph Henke, 1832