In der 9. Auflage der Säuglingspflegefibel sind Aufgaben für die Schülerinnen gelistet. Einige der Aufgaben sind handwerklicher Natur, andere sind klar auf das spätere Hausfrauendasein ausgelegt; Buchführung und Kochen fallen darunter. Hier ein paar Beispiele.

Für die Selbstarbeit.

1. Bau einer Kochkiste.
2. Einrichtung einer Puppenküche.
3. Zeichnen: Magen des Kindes, Säuglingsuhr, Flasche mit Grammeinteilung.
4. Eure Lehrerin nimmt vielleicht einmal, wenn ihr sie darum bittet, eure Gesundheitsscheine aus dem Spind: Wer war Brust-, wer Flaschenkind? Vergleichen.
5. Prüfe eure Milch zuhause. (Gießt man einen Tropfen Milch auf den Fingernagel, so läuft der Tropfen schnell auseinander, wenn sie verwässert ist.)
6. Im Haushaltsunterricht herstellen: Haferschleim, Grießsuppe, Zwiebackbrei, Spinat, Mohrrüben, Kartoffelbrei, Apfelmus, Limonade, Obstsaft, Kakao, Tee aus Pfefferminz, Lindenblüten, Fenchel, Kamillen.
7. Täglicher Speisezettel für ein Kind von 1/2, 1 und 2 jahren.
8. Berechne Milchmenge, Ernährungskosten.
9. Ein Säuglingstagebuch, fleißig alles eintragen.

Interessant ist hier die vierte Aufgabe. Zum einen fällt auf, das die Lehrerin offensichtlich sehr persönliche Informationen über die Kinder besaß. Zum anderen werden die Kinder aufgefordert, sich untereinander zu vergleichen. Was mag hier das Ziel sein und welche Wirkung mag es auf die Kinder gehabt haben?

Sie könnten einerseits verglichen haben, wie viele von ihnen wie lange gestillt wurden. Oder aber sie betrachteten Wachstum und Gesundheitszustand. Der Vergleich könnte sowohl sachlich als auch wertend ausgefallen sein. Im Hinblick auf das Erscheinungsdatum (1933) hat das einen üblen Beigeschmack.

An anderer Stelle lautet eine Aufgabe: "Beurteile eure Wohnung, wie sie ist und wie sie sein sollte." So bekommt die Lehrerin gleich noch einen Einblick in das Privatleben der Eltern.

Zur fünften Aufgabe ist anzumerken, dass es damals längst noch nicht die Lebensmittelstandards und -sicherheit wie heute gab. Dass Kuhmilch verwässert wurde, um einen größeren Gewinn zu erzielen, kam nicht selten vor. Wenn man nun darauf angewiesen ist, einen Muttermilchersatz aus Kuhmilch selber anzufertigen, spielt es für die Gesundheit des Babys eine große Rolle, ob die Milch gepanscht wurde oder nicht.

Säuglingstagebücher, wie sie in Aufgabe 9 erwähnt werden, waren damals sehr beliebt. In ihnen wurden Daten aller Art akribisch eingetragen wurden. Sie gaben den Eltern ein Gefühl von Kontrolle, was in einer streng hierarchischen Gesellschaft immer willkommen ist. Je weniger der Mensch Gefühle zeigen darf, desto mehr tendiert er dazu, sich an Regeln zu klammern. An dieser Stelle sei noch einmal das Buch von Miriam Gebhardt empfohlen, in dem sie Säuglingstagebücher analysiert hat: Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. [unbezahlte Werbung]