Am 24. September war Bundestagswahl. Ich habe von meinem Wahlrecht per Briefwahl Gebrauch gemacht. Nachdem ich den Brief eingeworfen hatte, habe ich auf Facebook meine LeserInnen aufgerufen, sich ebenfalls an der Wahl zu beteiligen. Mir erschien das notwendig in Anbetracht der Tatsache, dass in den Prognosen der AfD 12% der Wählerstimmen zufielen. Je mehr Menschen andere Parteien wählen, desto geringer fällt der Anteil der AfD aus. Logisch! Also rief ich ebenfalls dazu auf, nicht Rechts zu wählen.

Dass ausgerechnet in Deutschland die Rechten wieder so viel Zulauf erhalten, finde ich beschämend und unerträglich. Zum Glück sieht die überwiegende Mehrheit das ähnlich, so dass ich eine Menge positiver Rückmeldungen zu meinem Aufruf bekam. Doch einige Stimmen meldeten sich, die behaupteten, auf meinem Blog habe Politik nichts zu suchen.

Mal ganz abgesehen davon, dass es eben mein Blog ist, und ich hier tun und lassen kann, was ich will (solange ich mich gesetzeskonform verhalte), ist Säuglingspflege selbst und insbesondere die Geschichte der Säuglingspflege höchst politisch.

Nicht umsonst war das Dritte Reich eine Hochzeit für Erziehungsratgeber. Nicht nur schrieb Johanna Haarer ihr berüchtigtes Werk, sondern nie zuvor gab es so eine große Fülle an Erziehungsratgebern. Die schon zuvor eingerichteten Mütterberatungsstellen wurden ausgebaut. Vordergründig, um den Müttern zu helfen, doch sie dienten ebenso als Kontrollinstrument und verteilten Schriften zur Erziehung. Das Ziel der Erziehung war eindeutig politisch motiviert.

Der Einfluss von Zeitgeist in die Erziehung ist unverkennbar. Der Wille des Kindes soll gebrochen werden; das Schreien und Weinen soll man ignorieren; Gehorsam ist ein wichtiger Grundpfeiler in der Erziehung und dem Kind ein Bedürfnis; Regeln müssen sein, sogar beim Schlafen, sonst verwöhnt man sein Kind; zu viel Zuwendung macht das Kind zum Tyrannen und das muss man von Geburt an verhindern. Ruhige, stille Kinder sind gut erzogene Kinder; keinesfalls haben sie einen psychischen Schaden.

Die Nazis sind nicht einfach so plötzlich da gewesen. Sie entsprangen einem Zeitgeist. Politik und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verknüpft und beeinflussen sich immer gegenseitig.

Von Attachment Parenting über Bindungsorientiert bis zu Unerzogen gibt es heute viele Strömungen, in denen der respektvolle und bedürfnisorientierte Umgang mit den Kindern wichtig ist. Sie alle wollen genau solche Ansichten, wie oben beschrieben, abbauen. Ironischerweise ist das kein Hinweis auf einen ähnlichen Umgang unter den Erwachsenen. Denn sogar in diesen Strömungen gibt es Menschen mit rechtem Gedankengut.

Es zeichnet die Rechten aus, in erster Linie für sich selber und gegen Andersartige zu sein. Es herrscht ein klares Gruppen- und Zugehörigkeitsdenken. Menschen werden unterteilt in die, die Richtig sind, und die, die sich unterordnen oder besser gleich weg bleiben sollen. Dass das nicht respektvoll ist, muss ich ja wohl hoffentlich nicht erläutern. Das ist heute genauso schlimm, wie es in den 1930ern schon war.

Doch es gibt Anhänger der "neuen" Erziehungsströmungen, die argumentieren, sie seien ja nicht rechts, weil sie von den "Erziehungsmethoden der Nazis" nichts halten würden. Sie übersehen dabei die anderen Merkmale, die die Grundhaltung der Nazis zur Familie ausmachten, die da waren

  • eine Überhöhung der Mutter als Figur in Gesellschaft und Familie.
    Damals wurde die Mutterschaft als höchstes Ziel und Ehre für jede Frau dargestellt.
    Heute wird die Bindungstheorie dahingehend falsch ausgelegt, dass in den ersten drei Lebensjahren die Mutter die einzig wahre Betreuungsperson für ihr Kind sei. Diese Ansicht fesselt Mütter an Heim und Herd.
  • Konkurrenz und Kontrolle unter den Müttern
    Damals gab es das Mutterkreuz und das Ansehen der Mutter hing von der Sauberkeit ihres Haushalts sowie der Artigkeit ihrer Kinder ab.
    Heute gibt es die "Mummy Wars". Wie lange stillst du? Wie lange schläft dein Kind in deinem Bett? OMG, du benutzt einen Kinderwagen?!?
  • feste Rollenverteilung
    Damals: er verdient das Geld, sie kümmert sich um den Haushalt.
    Heute: "Mein Mann hat in der Erziehung kein Mitspracherecht. Allein ich bestimme, wie lange ich stille. Wenn meinem Mann das Familienbett nicht gefällt, soll er halt woanders schlafen."

Das sind nur ein paar Beispiele. Die Rechten machen sich das zu Nutze und gehen mit einer Familienpolitik an den Start, die die vermeintlichen Bedürfnisse von Kindern nach einer alleinverantwortlichen, alleinbetreuenden Mutter in einer "Kernfamilie" fördern. Da soll nochmal einer sagen, Säuglingspflege sei nicht politisch.

Wer im 21. Jahrhundert noch immer nicht erkannt hat, dass es nur eine Menschheit gibt, dass wir alle in einem Boot sitzen, und dass Toleranz und Inklusion der Weg der Zukunft sind, dem darf keine politische Macht gegeben werden. Jemand, der eine "wir gegen die"-Mentalität vertritt, darf keinen formenden Einfluss auf die Gesellschaft haben. Schon mal überlegt, wie sich die Menschen jetzt fühlen, gegen die sich die AfD offen ausspricht? Flüchtlinge, Homosexuelle, Alleinerziehende etc. pp.? Was für ein Schlag ins Gesicht dieser Wahlausgang für unsere Mitmenschen ist? Ist es respektvoll, jemandem auf diese Weise mitzuteilen, er/sie ist nicht gewollt, falsch oder selber Schuld an seiner/ihrer Lage?

Ich hab da so eine Ahnung, denn seit dem Brexit-Referendum fühle ich mich hier in England auch nicht mehr willkommen. Mit fremdenfeindlichen Wahlen fühlen sich zudem einige Menschen zu fremdenfeindlichem Verhalten berechtigt. Seit dem Referendum werden hier auf offener Straße EU-Bürger beschimpft, sie sollen doch nach Hause gehen. Körperliche und sachschädigende Angriffe hat es auch schon gegeben. Und ähnliches passiert jetzt (wieder) in Deutschland. Wie können wir da noch behaupten, wir hätten aus unserer Vergangenheit gelernt?

Und ja, ich weiß, die überwiegende Mehrheit der AfD-Wähler hat die gewählt, um den etablierten Parteien eins auszuwischen, nicht weil sie die AfD so toll fänden. Da hätte man aber genausogut eine der vielen Parteien wählen können, die keine Chance auf den Einzug in den Bundestag hatten. Statt dessen haben wir dort jetzt 94 Abgeordnete sitzen, die mit ihren Ansichten die Gesellschaft vergiften. Na, danke.

Ich will nicht, dass meine Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, die von Feindbildern geprägt ist. Darum werde ich mich immer wieder gegen Rechts aussprechen; privat, öffentlich und vor allem auf meinem Blog, von dem ich hoffe, dass er dazu beiträgt, dass wir aus der Geschichte lernen und sagen: "Nie wieder!"