Den folgenden Abschnitt finde ich einerseits sehr einfühlsam geschrieben, andererseits wirft er viele Fragen auf.

"Die gewaltigen Umwälzungen, die die ersten Wochen der Ehe bei der jungen Frau in körperlicher und geistiger Beziehung hervorbringen, zwingen zu einer neuen Form der Lebensführung. Neue Gefühle, neue Interessen sind erwacht; die Aufgabe einen Haushalt zu leiten, das Leben des Mannes bequem zu gestalten, nimmt ihre Kraft mehr in Anspruch als sie vielleicht vorher vermutete. Die Wirkungen dieser neuen Lebensart zeigen sich deutlich in der ganzen Erscheinung, und es ist merkwürdig, welche Veränderungen in gutem wie in schlechtem Sinne oft nach kurzer Ehe das Gesicht einer Frau dem Beschauer bietet.

Die meisten Ammen im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland waren Angestellte in einem Privathaushalt. Sie kamen meist aus den niederen Ständen. Ihre Lebensumstände waren schwierig, da sie meist ledige Mütter waren. Die Herrschaften nahmen das Kind der Amme meist nicht mit in den Haushalt auf, daher wurde es von anderen Verwandten versorgt oder in Pflege gegeben. Man war der Meinung, dass die Milch der Amme nur zu dem zu stillenden Kind passte, wenn ihr eigenes höchstens sechs Wochen älter war, als das ihr anvertraute. Dementsprechend musste das Ammenkind seiner Mutter entbehren während es selbst noch von der Muttermilch abhängig war. Das Ammenkind wurde daher mit minderwertigem Ersatz ernährt. Die Folgen waren entsprechend verheerend.

Helene Freifrau von Schroetter schrieb um 1890 unter dem Pseudonym J. von Wedell ein "Lexikon der Kinderstube", in dem sie fein säuberlich von A bis Z alles auflistete, was ihrer Meinung nach eine junge, gut betuchte und tugendhafte Mutter über die Kinderhaltung wissen sollte.

Ja, richtig gelesen. Ich schrieb Kinderhaltung. Das Verhältnis zum Kind ist sehr distanziert. Es ist ein Besitz. Zwar ein geliebter Besitz, aber dennoch ein Besitz. Es werden Erwartungen an das Kind gestellt, die garantiert erfüllt werden, wenn man nach "Schema Wedell" vorgeht.