An der Wende zum 20. Jahrhundert schrieb diese Mutter ihre Anforderungen an einen Kinderwagen und dessen Gebrauch nieder.

Fahren. Das Fahren des Kindes wird dem Tragen vorgezogen, da es dem kindlichen Körper eine gesunde und unschädliche Lage gewährt, während das Tragen ein anstrengendes Aufrechtsitzen des Körperchens (wodurch leicht ein Schiefwerden eintritt) verlangt. Im Kinderwagen fühlt Baby weder Nässe des Bodens, noch die Einwirkung des Staubes und der Sonne. Selbstverständlich muß der Wagen aber auch von guter Beschaffenheit sein. Gummireifen sollen die erschütternden Bewegungen des Fahrens auf ein Minimum reduzieren, ein verstellbares Verdeck soll es der Wärterin ermöglichen, jederzeit die Augen des Kindes vor grellem Sonnenlicht zu schützen. Vorhänge in dunkler Farbe, marineblau oder dunkelgrün, sollen, wenn Baby schlafen will, angenehme Dämmerung gewähren.
Der Wagen soll vorn und hinten einen Griff zum Fahren haben, damit das Kind nicht gezwungen ist, in die grelle Sonne zu sehen oder kalten Wind einzuatmen, sondern davor durch Umdrehen des Wagens geschützt werden kann. Im großen Ganzen soll die Wärterin das Kind vor sich haben, um es beobachten und darnach richtig behandeln zu können. Ist ein Weg zurückzulegen, wo es vor Sonne ec. geschützt werden muß, so darf sie ausnahmsweise hinter dem Kinde den Wagen schieben.
Jedes Fahren auf holperigen Wegen, spitzem Straßenpflaster, das Hinauf- und Herabstoßen des Wagens vom und auf das Trottoir ist eine schädliche Erschütterung des kindlichen Gehirns, die die Mutter streng verbieten muß. Noch viel gefährlicher aber ist das Hinauf- und Hinabfahren von Treppen, wie man es leider in hohen Mietskasernen zu sehen bekommt. Da zieht die Wärterin ruckweise den Wagen von Stufe zu Stufe, und das arme, hilflose Würmchen muß es schweigend erdulden. Zu manchem Leiden, zu mancher Unfähigkeit des Geistes wird hier unbedacht der Grund gelegt.
Das Fahren in der Eisenbahn ist unschädlich und wird gut vertragen.

Mutter und Kind - Ein Lexikon der Kinderstube, J. von Wedell, 1898

Besonders interessant finde ich, dass sie verlangt, dass man das Kind immer im Blick haben solle und dass nicht auf holperigen Wegen gefahren werden soll. Letzteres lässt sich sicher durch fehlende Federung erklären. Die unangenehmen Erschütterungen beim Treppensteigen gibt es auch heute noch, wenn einem niemand hilft, den Wagen hoch oder runter zu tragen. Die gesundheitlichen Folgen dürften aber gewaltig überschätzt worden sein.

Was findet Ihr an dieser Beschreibung bemerkemswert? Lasst es mich in den Kommentaren wissen.