Oktober ist Babyloss Awareness Month. Ungefähr jede vierte Schwangerschaft endet mit dem Verlust des Babys.

Den meisten Menschen ist dies nicht bewusst, denn bis heute ist Fehlgeburt ein Tabuthema. Betroffene schweigen oft aus Trauer, Selbstschutz oder Scham. Die Mitmenschen reagieren oft verständnislos oder spielen den Verlust herunter. Wie sind Familien früher mit dem Verlust umgegangen? Wir betrachten den Zeitraum vom 18. und 19. Jahrhundert.

Es gibt kaum frei zugängliche Aufzeichungen über die Reaktionen von Familien auf einen solchen Verlust. Am ehesten noch wären sie wohl in privaten Briefen zu finden. Die meisten Quellen sind eher medizinisch-sachlicher Art. 

So können wir zunächst einmal festhalten, dass unterschieden wurde zwischen Fehlgeburt (in den ersten 4 Monaten), unzeitiger Geburt (5. bis 7. Monat) und Frühgeburt (8. Monat bis Geburtsreife). Die wochengenauen Zeitangaben schwanken ein wenig je nach Publikation. Bei der unzeitigen Geburt kam das Baby nicht selten lebend zur Welt, aber es gab keine Möglichkeit, es am Leben zu erhalten. 

Selbst in medizinischen Büchern jedoch wird die Fehlgeburt als schlimme Erfahrung dargestellt. Teilweise wird sie sogar schlimmer als Unfruchtbarkeit empfunden, da "die schönsten Hoffnungen schmerzhaft vernichtet" würden und die Mütter nicht selten Komplikationen erlitten. Sie erwähnen auch, dass es sich um ein häufiges Ereignis handelt.

"Guter Hoffnung sein" ist ja seit jeher eine Bezeichung für Schwangerschaft. Und das zu Recht. Es gab keine sichere Feststellung der Schwangerschaft vor den eindeutigen Kindsbewegungen. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass Menschen Kinder bekamen mit dem vollen Bewusstsein, dass einige davon nicht groß werden würden. Die gesamte Erwartungshaltung dürfte also eine andere gewesen sein. Die Säuglingssterblichkeit lag je nach Region und Zeit bei 12-50%!

Im Gegensatz zur unzeitigen und zur Frühgeburt gab es für die Fehlgeburt viele verschiedene Bezeichnungen: Abortus, Missfall, Missgebären, Unrichtiggehen, unrichtige Wochen und mehr. Der Begriff "Missgebären" fällt mir dabei besonders auf. In den ersten Monaten wird bei einer Fehlgeburt in der Regel die intakte Fruchthülle geboren. Diese ist undurchsichtig, so dass das Kind darin nur erkannt werden kann, wenn die Hülle geöffnet wird. Da alles, was "unternrum" geschieht, sowieso tabuisiert wurde, denke ich nicht, dass eine solche Eröffnung für gewöhnlich statt gefunden hat. Haben die Familien dieses Ereignis als Verlust eines Kindes wahrgenommen? Oder haben sie es als eine "Missgeburt" angesehen und waren froh, keinen Dämon oder ähnliches geboren zu haben?

Bei den unzeitigen Geburten stellt sich diese Frage nicht. Hier konnte ich herausfinden, dass für Kinder, die vor dem vollendeten sechsten Monat geboren wurden, weder von Seiten der Kirche noch des Staates eine Beerdigungspflicht bestand. Daher ist es nicht verwunderlich, dass diese Geburten auch nicht in Kirchenbüchern vermerkt sind. 

Mir sind keine christlichen Schriften bekannt, die Vorschriften über den Umgang mit Fehlgeburten machen. Bei den Juden ist das anders. Nicht nur, dass ausdrücklich fest gelegt ist, dass nach einer Fehlgeburt keine Trauer getragen werden soll, der Begriff der Fehlgeburt wird zudem ausgeweitet auf alle Kinder, die innerhalb von dreißig Tagen nach der Geburt versterben. Es ist jedoch erlaubt, diese Kinder in ein Grab zu legen; gegebenenfalls auch zusammen mit der Mutter. [Quelle, S.202, S.253]

Wir kennen den alten Brauch, die Plazenta zu vergraben und darauf einen Baum zu pflanzen. Es liegt nahe zu vermuten, dass auch unzeitig geborene Kinder auf ähnliche Weise im Garten vergraben wurden. Hinweise auf ein solches Verfahren finden sich allemal. Auf christlichen Friedhöfen wird für sie kein eigenes Grab ausgehoben worden sein, da dies denjenigen vorbehalten war, die in den Kirchenbüchern gelistet wurden. Aber auch hier war es möglich, das Kind im Falle des Falles zur Mutter ins Grab zu legen.

Mütter starben aber weitaus seltener bei der Geburt oder im Wochenbett, als wir das heute meinen. Und eine Geburt ist eine Geburt, egal ob "fehl", "unzeitig", "früh" oder "regelmäßig". So wurde die Schwangere nach jeder Geburt zur Wöchnerin. Hebammen wurden angehalten, nach jeder Geburt der Mutter zur Seite zu stehen, und Mütter wurden angehalten, das Wochenbett zu hüten. Sogenannte "Volkshandbücher", welche Ratgeber zu jeder Lebenslage waren, empfahlen nach einer Fehlgeburt den "in anhaltender Bekümmerniß und tiefer Traurigkeit" befindlichen Müttern mit "tröstlichem und aufmunterndem Zuspruch" sowie "ernstlichen Ermahnungen" beizustehen. Unter "ernstlichen Ermahungen" sind hier ernste (im Gegensatz zu heiteren) Worte gemeint, die aufbauen und anspornen sollen. (Vgl Ermahnung, Exhortatio

Insgesamt dürfte der Umgang mit dem Verlust so unterschiedlich gewesen sein, wie heute auch. Manche reden darüber, manche nicht. Manche trauern mehr, manche weniger. Für einige ist es ein traumatisches Erlebnis. Spurlos geht es wohl an niemandem vorüber. 

Damit niemand mehr mit einem solchen Erlebnis alleine gelassen wird, ist es an der Zeit, das Tabu zu brechen. Reden wir über unsere Verluste. Bei mir stimmt die Statistik. Ich habe eines meiner vier Kinder in der Schwangerschaft verloren.