Vor kurzem erschien ein Artikel in der Welt, der sich damit beschäftigte, wie schnell und mittlerweile häufig Memes, Links und Inhalte von rechten und christlich-konservativen Personen und Organisationen in den Social Media von BO- und AP-Accounts geteilt werden. Dieses Problem habe ich schon mehrfach thematisiert (z.B. hier und hier). Und auch erfolgreiche Autorinnen wie Nora Imlau (Link zu Twitter-Thread) und Susanne Mierau (Link zu Instagram-Post) werden nicht müde, hier Aufklärungsarbeit zu leisten. Der Artikel von Anne Dittmann ist absolut lesenswert, darum verlinke ich ihn hier: "Rechte Ideologien auf Instagram: Sie treffen Mütter da, wo es ihnen weh tut"

Doch ausnahmsweise will ich heute gar nicht weiter über dieses Thema schreiben. Es geht mir heute um etwas ganz anderes, was dieser Artikel mir nebenbei noch einmal vor Augen geführt hat: Wir haben in Deutschland ein Problem mit Expertise.

Was macht eine'n Expert'in aus? Ist es ein Studium? Ist es die langjährige Beschäftigung mit einem Thema? Wie kann Expertise nachgewiesen werden? In Deutschland wird extrem viel Wert auf staatlich anerkannte Abschlüsse gelegt. Aber hilft das wirklich? Die Absicht ist klar. Mit einer regulierten Ausbildung soll ein Mindestmaß an Qualität gesichert werden. Doch in der Praxis gibt es viele Schwachpunkte.

Da gibt es auf der einen Seite Menschen wie den in Frau Dittmanns Artikel erwähnten Psychologie-Professor, der die Existenz von ADHS leugnet, obwohl sie nachgewiesen ist. Da gibt es Homöopath'innen, die staatlich anerkannte Heilpraktiker'innen sind, obwohl Homöopathienachweislich nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt. Es gibt vereinzelt sogar Impfgegner unter den Ärzt'innen. Weder Ausbildung und Studium noch ein staatliches Siegel sind ein Garant für solides wissenschaftliches und evidenzbadiertes Arbeiten. Leider.

Auf der anderen Seite gibt es Menschen wie mich. Ich habe weder Geschichte, noch Medizin, Pädagogik oder irgendein anderes zu der Geschichte der Säuglingspflege themenverwandtes Gebiet studiert. Ich bin Diplom-Informatikerin, also komplett fachfremd. Alles, was ich zum Thema weiß, habe ich im Selbststudium gelernt - ohne jegliches Zertifikat. Ich bin zwar zertifizierte Stillberaterin, aber diese Ausbildung ist nicht staatlich anerkannt.

Wenn ich daher lese, dass den Betreiber'innen großer BO-Accounts die Fachkompetenz abgesprochen wird, weil sie "nur" ein fachfremdes Studium absolviert haben, wie es auch in Frau Dittmanns Artikel geschehen ist, dann fühle ich mich persönlich getroffen. Würde ich in einem Zeitungsartikel auch als Mütterblog ohne Ahnung dargestellt werden? Die Frage, als was mich andere bezeichnen würden, treibt mich schon länger um, und sie hat mich bei der Suche nach meiner Selbstbezeichnung beeinflusst.

Wie ich sowohl in meiner Kurz-Biographie als auch in den FAQ geschrieben habe, bin ich ursprünglich als Mutter und Stillberaterin an das Thema "Geschichte der Säuglingspflege" herangetreten. Das war ungefähr 2007. 2010 habe ich meinen ersten Artikel in der Deutschen Hebammenzeitung (DHZ) veröffentlicht. Bis 2014 habe ich weitere Artikel hauptsächlich auf meiner ersten Webseite bergstermann.de veröffentlicht. Dann habe ich den Sprung zum Blog gemacht, indem ich entsprechende Software installierte und häufiger schrieb. Das machte mich zur Bloggerin, obwohl mir die Bezeichnung Autorin mehr zusagte. Doch beide Bezeichnungen sind sehr unspezifisch. Mein Thema jedoch ist sehr genau umrissen. Ich habe mich spezialisiert auf die Geschichte der Säuglingspflege und Kindererziehung und deren Auswirkungen auf heute.

Die Frage ist aber anscheinend, ob dies alles reicht - ob meine sichtbare Arbeit und mein Erfolg reichen, um mich als Expertin auszuweisen. Meine Artikel und Inhalte wurden schon oft von großen BO-Accounts geteilt, und bei Fragen zum Thema wird von meinen Leser'innen gerne auf mich verwiesen. Sind die jetzt alle auf mich reingefallen? Weil auf meiner Dilpomurkunde "Informatik" steht und nicht etwa "Geschichte"? Darf ich mich überhaupt Historikerin nennen?

Lange Zeit habe ich mich tatsächlich gesträubt, die Bezeichnung "Historikerin" zu benutzen. Da bin ich eben sehr deutsch geprägt. Eine solche Bezeichnung suggeriert doch irgendwie eine entsprechende Ausbildung, dachte ich. Ab und zu zwickt mich auch heute noch das Impostor-Syndrom. Doch auch Selbst-Studium ist eine Ausbildung. Nur eben eine ohne staatliches Siegel. Jahrelange Recherchen zu einem Thema bringen einfach eine gewisse Expertise mit sich, wenn die Methodik stimmt.

"Historiker ist in Deutschland keine rechtlich geschützte Berufsbezeichnung und Forschung und Lehre sind dem Grundgesetz nach frei. Dementsprechend kann sich jeder als Historiker bezeichnen, der sich wissenschaftlich oder publizistisch mit historischen Fragen befasst", so heißt es auf wikipedia.

Diese Definition trifft voll auf mich zu. Über die Jahre habe ich wahnsinnig viel gelernt und viel geschrieben. Dabei habe ich von Anfang an viel Wert auf wissenschaftliches Arbeiten gelegt. Quellen begutachten, sie richtig einsortieren, Bezüge herstellen und unter vielschichtigen Aspekten analysieren und auch interpretieren, Kommunikation mit anderen Forscher'innen und Fachpersonen. All das war und ist mir wichtig. Habe ich dabei immer fehlerfrei gearbeitet? Nö, mit Sicherheit nicht. Habe ich die Weisheit mit Löffeln gefressen? Garantiert nicht. Habe ich Fehler erkannt und revidiert? Absolut! Denn auch das ist wissenschaftliches Arbeiten: Punkte zu revidieren, neu zu evaluieren und gegebenenfalls zu ändern, anzupassen oder gar zu verwerfen.

Meine älteren Artikel würde ich heute teilweise anders schreiben. Ihr findet sie trotzdem noch im Blog, denn sie sind nicht falsch, nur halt aus meiner heutigen Sicht nicht vollständig, oder der Fokus ist verschoben. Zudem werden veraltete Studien oder obsolete Diplomarbeiten ja auch nicht gelöscht. Wissenschaftliches Arbeiten baut aufeinander auf und da ist jeder Baustein wichtig, auch wenn er sich im Nachhinein als Schritt in die falsche Richtung herausgestellt hat. Gerade in der nahe mit dem Blog verwandten Medizingeschichte war ja auch vieles einfach Trial and Error. Aus Fehlern werden wir klug. Genau das ist die Grundbotschaft dieses Blogs! Wir lernen aus der Vergangenheit für eine bessere Zukunft. Aber ich schweife ab.

Ich bin also eine Historikerin. Und wenn Du irgendwo irgendetwas von mir liest, was Du für falsch hältst oder wo du Klärungsbedarf hast, dann schreib mir einen Kommentar oder eine E-Mail oder markier mich in den Social Media. Ich bin immer an einem Austausch interessiert. Ich lerne immer gerne dazu und ich bin kritikfähig. Ich erkläre auch gerne, und oft habe ich direkt einen Link oder eine Quelle parat, in der das jeweilige Thema genauer beleuchtet wird.

Ich denke, dass sich die Qualität meiner Arbeit in meinen Texten widerspiegelt. Dennoch wünschte ich mir, ich hätte ein offizielles Gütesiegel, sei es ein staatliches Diplom oder irgendwelche Zertifikate. Ein zweites, themennahes Studium, z.B. in Medizingeschichte, wäre ein Traum. Am liebsten noch mit Doktortitel. Einfach weil ich da großen Spaß dran hätte und es zusätzlich meine Arbeit bereichern würde. Derzeit lässt sich das nicht verwirklichen, aber sag niemals nie! 

Sollte ich also in nächster Zeit in irgendeinem Artikel erwähnt werden, bezeichnet mich gerne als Historikerin und Expertin auf meinem Gebiet. Das ist zutreffend.