Kinderzimmer gibt es noch gar nicht so lange. Klar, Adlige und die Super-Reichen hatten schon immer viele Zimmer zur Verfügung. Und da sich in diesen Kreisen die Eltern selber kaum um die Kinder kümmerten, hatten diese auch von den Eltern getrennte Räumlichkeiten. Oftmals schlief dann aber das Kindermädchen bei den Kleinen. Doch die breite Bevölkerung kannte Kinderzimmer nicht. Diese kamen erst im Biedermeier auf.

In dem "Buch von der gesunden und praktischen Wohnung" von 1891 bescheibt C. Falkenhorst alle möglichen Zimmer einer Wohnung und widmet ein Kapitel den Anforderungen an eine Kinderstube. Er kommt zu dem Schluß, dass diese nicht so wichtig sei. Lieber ein kindgerechtes Wohn- und Schlafzimmer als ein schlechtes Kinderzimmer.

Das Kind und die Wohnung.

Der Begriff der Kinderstube ist wohl der schwankendste unter allen, die sich auf unsere Wohnräume beziehen. Wie ein Salon oder Speisesaal eingerichtet werden soll, darüber sind sich die meisten Menschen klar. In dieser Beziehung findet man auch in Büchern über stilvolle und zweckmäßige Ausstattung der Wohnung hinlängliche Belehrung. Ueber das Kinderzimmer pflegen solche Bücher in der Regel zu schweigen und nur die hygienischen populären Schriften berühren diese Frage, in der Regel in einer ziemlich flüchtigen Art.

Machen wir im praktischen Leben einen Rundgang in Familien unserer Bekannten und Freunde, die mit Kindern gesegnet sind, so wird es uns bald klar sein, daß die Kinderstube ein eigenartiges Ding ist - ein Wohnraum, der sich durchaus mit den übrigen nicht vergleichen läßt. Den guten Möbeln wird in der Regel ein gutes Zimmer eingeräumt; oft ist es das beste im Hause. Die Kinder des Hauses verfügen schon seltener über ein eigenes Gemach, sie wohnen in der Regel in der Wohnstube und im Schlafzimmer. Die überwiegende Mehrzahl der Familien besitzt keine Kinderstube. Zum Theil sind daran die sozialen Verhältnisse schuld. Namentlich in den Großstädten ist der Miethzins hoch und dies legt den Eltern Beschränkungen auf, ferner kommt im Winter die Heizungsfrage in Betracht; arme Arbeiterfamilien haben ebensowenig eine Kinderstube, wie eine gute Stube; die Leute mit mittlerem Einkommen schwingen sich zum Salon schon eher als zur Kinderstube empor. Geschieht das Letztere, so verfallen sie oft in einen schlimmen Fehler. Die luftigsten, freiesten Räume werden zu Repräsentationszwecken gewählt, die Kinder aber in ein nach hinten gelegenes wenig ansehnliches Zimmer hinausquartiert. Die Zahl der Hausfrauen, welche in dieser Weise verfahren, ist keineswegs gering: bei ihnen heißt es: "Ach, es ist nur eine Kinderstube!" Ich möchte dagegen behaupten, daß keine Kinderstube unter Umständen besser ist als eine solche dürftige und ungesunde. Es kommt auch schließlich darauf nicht an, ob die Kinder ihre eigene Stube besitzen oder nicht, sondern vor allem darauf, ob in der Einrichtung und Ausstattung der Wohnung auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen wird.

Die Kinder haben ein ebensogutes Anrecht auf eine gesunde und angenehme Wohnung wie die Eltern. Es ist eigenlich selbstverständlich,  es giebt aber eine große Zahl von Müttern, welche dieses Selbstverständliche durchaus nicht begreifen können oder wollen. Das deutsche Wohnhaus war Jahrzehnte land hindurch schlicht und kahl. In neuerer Zeit trat wieder ein Rückschlag ein; man begann es zu schmücken; stilvoll werden jetzt die Wohnungen eingerichtet; das ist an und für sich sehr lobenswerth, leider aber giebt es Viele, welche das Stilvolle nur mit Opfern der Gesundheit und Bequemlichkeit erkaufen. Das Stilvolle ist vor allem einer großen Zahl bürgerlicher Frauen in den Kopf gefahren, die, ohne es zu wissen, sich durch die Huldigungen, die sie dem Dämon Schein darbringen, nur lächerlich machen. Diese Frauen sind es vornehmlich, die nicht nur ihren "Salon", sondern auch ihr Wohnzimmer stilvoll einrichten und, um es stilvoll zu erhalten, die Kinder in dunkle enge Käfige verbannen. Das Wohnzimmer ist keineswegs der Ort, in dem wir nur ausruhen und genießen. Es ist der Mittelpunkt des Hauses, in welchem eine große Anzahl häuslicher Arbeiten verrichtet wird. Darum kommt bei der Ausstattung desselben weniger das kunstvolle, als das Gemüthliche und Praktische in Betracht.

Eine Hausfrau, welche den Familienkreis nach des Tages Last und Mühe oder in den Nähstunden vereint sehen will, muß das Wohnzimmer entsprechend einrichten. In den meisten Familien wird es auch vorwiegend der Aufenthaltsort der Kinder sein.

Cornelius Gurlitt, der ein treffliches Buch über die künstlerische und geschmackvolle Ausstattung der Wohnung geschrieben hat, * äußert sich über das Wohnzimmer: "Auf die Gefahr hin, von vielen als Barbar verketzert zu werden, muß ich gestehen, daß ich mir die Einrichtung eines bürgerlichen Wohnzimmers nicht stilvoll im geschichtlichen Sinne vorstellen kann. Es sei denn wirklich ein in altem Zustand überkommener Raum. Was im Wohnzimmer sich befindet, sollte mit den Bewohnern desselben in persönlichem Bezug stehen. Es soll mit ihnen entweder alt geworden sein oder sich als ihr Erwerb als neu und neuartig zeigen. Wenn in allen anderen Räumen ein Fremder, ein Künstler an der Ausstattung mitwirken darf, so sei hier und im Schlafzimmer den Gatten ihr eigener Geschmack belassen, selbst wenn er wenig Schulung besitzt. Denn hier sei die Stimmung die des arbeitsreichen Tages, der saueren Wochen, der Werkthätigkeit, nicht eine festliche, gesteigerte, von fremder, wenn auch verfeinerter Art beeinflußte."

*) Vgl. Cornelius Gurlitt, "Im Bürgerhause."

In diesem Sinne giebt er auch praktische Winke zur Ausstattung des Wohnzimmers. Die Möbel desselben seien so eingerichtet, daß Kinder ohne Gefahr an denselben herumklettern können. Die Stühle nicht zu leicht, nicht mit zu hohen Lehnen versehen und nicht mit zu engem Stand der Füße, damit sie nicht kippen, so gebaut, daß sie beim Fallen nicht leicht beschädigt werden. Der Tisch sei fest, auf vier unter sich durch ein Kreuz verbundenen Beinen gestützt, mit Kasten und viereckiger Platte versehen. An runden Platten kann man nicht schreiben, weil die Arme keine Stütze finden und die Rundung gegen die Brust stößt. Die Schränke halte man einfach, sorge dafür, daß die Ecken überall abgerundet werden. Die Möbel seien durchweg in einer Technik ausgeführt, welche Ausbesserungen verträgt; also nicht in Politur und Schnitzerei, sondern in Beizung, farbigem Anstrich und einfacher Tischlerarbeit. Die Wandfarben seien hell und anspruchslos, die Ueberzüge des Sophas und der Lehnstühle in stark gebrochenen Tönen, so daß man Flecken und dergl. nicht zu leicht auf ihnen erkennt. Man spare nicht mit Borden und sonstigen Gelegenheiten, einen Gegenstand aus der Hans zu stellen.

Dies ist das praktische Wohnzimmer der deutschen Hausfrau, in dem sich auch die Kinder wohl fühlen und das auch geeignet ist, eine besondere Kinderstube zu ersetzen.

Wer viele Kinder hat und die Mittel besitzt, wird auch daneben eine Kinderstube einrichten. Sie wird aber auch dann nicht wie der Salon jahrelang dieselbe Ausstattung beibehalten dürfen. Mit dem Wachsthum und der fortschreitenden geistigen Entwickelung stellen die Kinder immer neue Anforderungen an die Wohnungseinrichtung. Darum werden wir auch im Nachfolgenden von den Bedürfnissen der Kinder in der Wohnung sprechen, aus diesen wird sich naturgemäß die Einrichtung des Zimmers, das für den Aufenthalt der Kinder bestimmt ist, ergeben.

Die Gefahren, welche die Gesundheit der Kinder in der Wohnung bedrohen können sind verschiedene. Sie sind zuerst allgemeiner Natur. Mangel an guter Luft und an Licht, Feuchtigkeit in der Wohnung, Keime ansteckender Krankheiten bedrohen in noch höherem Maße die Gesundheit der Kinder als die der Erwachsenen.

Was wir darüber im Allgemeinen in den vorhergehenden Abschnitten gesagt haben, das hat auch für das Kinderzimmer Geltung. Wir würden nur das schon einmal Gesagte wiederholen, wenn wir darauf näher eingehen wollten. In gewisser Hinsicht verlangt aber das zarte Kind mehr Schonung als der abgehärtete gesunde Erwachsene und diesen besonderen Rücksichten auf das zarte Kindesalter werden wir an passenden Stellen Rechnung tragen.

Es giebt aber noch eine Reihe besonderer Leiden, welche dem Kindesalter eigenthümlich sind und die gerade in der Wohnung zu entstehen pflegen. Selbst in den gesündesten, vornehmsten Wohnungen werden sieche Stubenkinder großgezogen. Schuld daran sind falsche Einrichtungen in der Wohnung und mangelhafte Pflege der Kinder, die wiederum eine Folge der Unwissenheit der Eltern ist. Diese Leiden arten zu körperlichen Gebrechen aus, die leider in unserer Zeit immer mehr zunehmen. Abgesehen von der Nervosität sind es zumeist Verkrümmungen der Wirbelsäule und anderer Knochen, hockige Haltung, hohe Schultern, X-Beine, u. s. w., ferner die Kurzsichtigkeit.

Wenn nun die allgemeinen Gesundheitsregeln hinreichen, um die Kinder vor Blutarmuth und allgemeiner Schwäche zu bewahren, ihr Nervensystem zu stärken, so verlangt die Verhütung der zuletzt genannten Gebrechen eine besondere Pflege der Kinder. In dieser Hinsicht wird in den Kinderstuben am meisten gesündigt, und darum werden wir auf die Maßregeln zur Verhütung derselben den Hauptnachdruck legen. Dadurch wird aber auch der Begriff der Kinderstube erweitert; wir werden unsere Betrachtungen von der Wiege bis in die Schuljahre ausdehnen müssen.

- Das Buch von der gesunden und praktischen Wohnung. C. Falkenhorst, Leipzig, 1891