Neugeborene Babys tun ihren ersten Atemzug normalerweise von allein. Sie brauchen keine Hilfe und schreien erst, wenn ihnen etwas nicht passt. Das Atmen an sich ist nicht ans Schreien gebunden. Dennoch kennen wir alle Bilder von Neugeborenen, die an den Füßen hochgehalten, einen Klaps auf den Po bekommen, damit sie Schreien. Was steckt dahinter?

In Hebammenbüchern des 19. Jahrhunderts finden sich keine Hinweise auf eine solche Praxis. Die Handgriffe am Neugeborenen, die erwähnt werden, sind in erster Linie das Abnabeln und das Baden.

1914 schreiben Keller und Birk, dass das Einstellen der Arbeit der Nabelschnur Sauerstoffmangel erzeuge, welcher den ersten Atemzug auslöse. Nichts davon, dass man nachhelfen müsse. Auch Birk und Mayer schreiben 1930, dass der erste Atemzug reflektorisch erfolgt. 1977 lassen Uhlmann und Liebing verlauten, dass der erste Atemzug sich durch Schreien äußere, nachdem das Kind im Geburtskanal zusammengepresst wurde. Und dennoch lesen wir 1969 das hier:

"Es ist gut, wenn das Kind einen Schrei ausstößt, denn der erste Atemzug soll kräftig sein, damit sich möglichst viele Lungenbläschen öffnen. Bis alle Bläschen geöffnet sind, vergehen allerdings noch Tage und Wochen.

Außerdem befreit der erste Schrei die Atemwege von dem Schleim, der sich darin angesammelt hat. Stößt das Neugeborene den ersten Schrei nicht von selbst aus, so ermuntert es der Arzt oder die Hebamme durch den traditionellen freundschaftlichen Klaps auf den Po."

Knaurs Babybuch, Sybil Gräfin Schönfeldt, 1969

Zunächst einmal: zur vollen Entfaltung der Lunge reichen ein paar Atemzüge! Und weiter: wenn bereits in Lehrbüchern zu Beginn des 20. Jahrhunderts drin steht, dass Neugeborene von alleine zu atmen beginnen, wie konnte sich dann diese "Tradition" entwickeln?

Die Antwort ist schauerlich. Mit zunehmendem Wissen über Narkotika versuchte man, den Frauen den Geburtsschmerz zu nehmen, indem man sie bis zu Delirium und Filmriss zudröhnte - der sogenannte Twighlight Sleep. Die Kinder kamen entsprechend ebenso zugedröhnt auf die Welt und die einfachste Art, sie zum Atmen zu bringen, war der Klaps auf den Po.

Wie bei so vielen Dingen hat sich diese Praxis dann verselbständigt. Ein Übertragen von Spezialfällen auf allgemeine Gültigkeit können wir auch bei anderen Praxen beobachten, wie beispielsweise beim Einführen von Abständen zwischen den Mahlzeiten. Diese wurden für Flaschenkinder eingeführt und dann auf Stillkinder übertragen.

Es wurde also nur noch gelehrt, dass man Neugeborenen einen Klaps gibt, nicht aber warum man es macht. Vielleicht haben es sich einige StudentInnen oder BerufsschülerInnen auch einfach nur abgeguckt und nicht weiter nachgefragt, wann man das macht. Wir dürfen nicht vergessen, dass Lehre und Studium früher nicht wirklich zum Hinterfragen aufgefordert haben.

Erst mit dem Aufkommen eines humaneren Umgangs in der Geburtshilfe ist diese schreckliche Praxis verschwunden.