Um den Wärmegrad in diesen Familienbetten zu bestimmen, ist es nicht unwichtig, die nächtliche Bekleidung der Schläfer ins Auge zu fassen. Sie war auf ein Aeusserstes reducirt, indem man althergebrachter Sitte zufolge, wenn man zu Bette ging, sich völlig entkleidete.

Wie so vieles Andere, war dies eigenlich nur eine alte Gewohnheit, welche sich mit Unrecht erhielt. War sie in jener Zeit geboten, wo die Leinwand wegen ihrer Kostbarkeit etwas Unerschwingliches war, so war sie es doch durchaus nicht mehr unter den Verhältnissen des sechzehnten Jahrhunderts. Die Leute, die Nachts aus Sparsamkeit ganz nackt lagen, waren doch in der Lage, Tags mit dem Hemde bekleidet zu gehen und Nachts zwischen Laken zu liegen. Aber von alter Zeit her eingewurzelt, hielt die Sitte sich mit merkwürdiger Zähigkeit. In diese Zustände werden wir versetzt durch Redeweisen wie folgende: "Welche ein Teufel von Mann war er in seinem Hause! Wie oft musste seine Frau nackt aus ihrem Bette und hinaus zu Nachbaren, wenn er zu nächtlicher Stunde betrunken und voll nach Hause kam"546). Oder: "Als vor sechszehn bis siebzehn Jahren Rugaars zur Nachtzeit abbrannte, da konnten Frau Anna und ihre Schwester, welche bei ihr war, kaum ein Hemd anbekommen, und mit dem Leben davon kommen."547). Noch nach der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts war die Sitte in Dänemark allgemein. Ein polnischer Officier, welcher im Jahre 1658 mit dem Hülfscorps seiner Landsleute dorthin kam, erzählt, wie Alle in diesem Lande nackt zu schlafen pflegten. Auf seine Frage, ob sie sich doch nicht schämten, ohne Rücksicht auf das Geschlecht sich in seiner Gegenwart zu entkleiden, antworteten sie: dessen, was Gott geschaffen, brauche man sich nicht zu schämen; ausserdem könne das Leinen, das den ganzen Tag dem Leibe treulich gedient habe, es wohl bedürfen, dass es wenigstens des Nachts geschont werde548). Bekanntlich hat sich die Sitte in manchen Gegenden Norwegens, ja selbst Jütlands, bis auf diesen Tag erhalten549).

Das tägliche Leben in Skandinavien während des sechzehnten Jahrhunderts - Eine culturhistorische Studie über die Entwickelung und Einrichtung der Wohnungen, Troels Frederik Lund, 1882, S.171f

mehr dazu: Nackt im skandinavischen Familienbett

Fußnoten:

546) Peder Palladius, Visitatsbog, udg. af Grundtvig. S. 89.

547) Die Zeugenaussage aus dem Nörager Kirchspiel v. 28. Mai 1579, aufgenommen in das gerichtliche Erkenntniss v. 10. November 1586. - Ein Ausdruck wie dieser (Norske Magasin I, 236): "da stand ihre Hausmutter im Hemde auf und schloss Hans, den Bartscheerer, ein", muss man sicherlich so verstehen, dass sie das genannte Kleidungsstück sich erst angezogen hat. - Beweisstellen dafür, dass es während des Mittelalters allgemeine Sitte in Europa war, ganz unbekleidet zu schlafen, finden sich gesammelt in: Alwin Schultz, Das höfische Leben zu Zeit der Minnesänger I, Leipzig 1879. S. 168, Anm. 4. - Als Zeugniss dafür, dass im sechzehnten Jahrhundert bei dem Adel des Nordens eine schwache Neigung, ein Nachtkleid anzulegen, erwachte, lässt sich anführen: dass unter Ture Bjelke's Kleidern auf Salsta 1563, ausser siebzehn, mehr oder weniger kostbar ausgestatteten (Tag-)Hemden sich auch ein "Nachthemd" befand. S. Klingspor och Schlegel, Uplands Herregårdar. V. Salsta. (Beilagen.)

548) Historik Tridsskrift III, 308.

549) S. z. B. Christopher Hansteen, Reise-Erindringer. Christiania 1859. S. 36.

Das tägliche Leben in Skandinavien während des sechzehnten Jahrhunderts, Troels Lund, 1882, S.430

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