Mehr als eine Sprache zu sprechen, eröffnet Einblicke in andere Kulturen, erweitert den Horizont, erzeugt eine Vielfalt an Möglichkeiten. Mit mehr als einer Sprache aufzuwachsen macht nicht nur den Spracherwerb leichter. Studien haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit das Gehirn nachhaltig positiv verändert. 

Im 19. Jahrhundert war Französisch die beliebteste Wahl für zweisprachige Erziehung. Das war so nachhaltig, dass wir noch heute das Bild der Gouvernante kennen. Französisch gehörte zum guten Ton, nicht nur in der Oberschicht. Doch Nationalisten war die Toleranz, die durch die Mehrsprachigkeit gefördert wurde, ein Dorn im Auge.

So schrieb der Verleger Friedrich Ernst Fromman:

"Jena,17.October 1829. 

Eine Bonne oder französische Kinderwärterin würde ich weder den mittlern, noch den s.g. höhern Ständen empfehlen. Das Kind soll weder von der französischen noch von der deutschen Kinderwärterin erzogen werden, sondern von den Eltern, wenn sie auch ihrer übrigen Geschäfte wegen auf Stunden die Kleinen der Aufsicht Andrer überlassen müssen. – Von einer Bonne kann natürlich nur bei Mädchen oder bei ganz kleinen Jungen die Rede sein; diese entlaufen ihnen doch bald. Welche Verwirrung der Begriffe muß aber entstehen, wenn so junge Geschöpfe in zwei Sprachen denken und sich verständlich machen sollen! Danken wir Gott, wenn ihnen nicht zu früh und nicht zu viel eingeredet und ihr Menschenverstand gesund entwickelt wird. Es ist nichts lächerlicher und trauriger, als wenn ein kleines deutsches Kind sich in affectirten schönen Redensarten deutsch oder französisch ausläßt. Lassen Sie die wälsche Kinderwärterin weg, die übrigens eine so gute Person sein kann, wie die deutsche; ihre Art ist aber nicht unsre Art und wir Deutsche wollen lieber unsre guten Gewohnheiten behalten und die nicht guten bessern, als alles bei Fremden suchen. Schlimm genug, daß wir ihre guten und schlechten Kleidermoden nachmachen. 
In den s.g. höhern Ständen hält man das Französische für unentbehrlich und betrachtet dessen Kenntniß für einen größern Vorzug für die Mädchen, als er ist. Es ist gut, wenn sie die Sprache zu sprechen wissen, die zur Verständigung zwischen den verschiednen Nationen dient. Sie wird aber besser von Lehrern oder Lehrerinnen gelernt, als von der Bonne. Wenn man diese vorzieht, geschieht es wohl meist darum, weil man die lieben Kinder nicht zu Fleiß und Anstrengung beim Lernen anhalten mag. Es wird viel leichter verziehen, wenn ein Mädchen in Geschichte und Erdbeschreibung unwissend ist oder nicht einmal richtig deutsch schreiben und sprechen kann, als wenn es nichtf ranzösisch parlirt, und ein Französisch, das nur zu oft der Franzose nicht versteht.
Die Mädchen bei Zeiten zur Hülfe bei den Arbeiten im Hause, in der Küche und im Garten heranziehn, sie an Ordnung und Thätigkeit gewöhnen, das Rechte zur rechten Zeit zu thun lehren – das kann nur die Mutter, nicht die Bonne. Was sie sonst noch von der Mutter lernen können, mögen sie bei ihr lernen, wenigstens zu lernen anfangen, das Übrige in der Schule oder bei Lehrern; Vielerlei brauchts nicht zu sein, aber was sie lernen, gründlich. So werden sie besser durchs Leben kommen, als wenn sie mit einem fremden Firniß überzogen werden, der doch die Leere des Geistes durchscheinen läßt."

Das Frommannsche Haus und seine Freunde, 1792-1837, Friedrich Johannes Fromman Hrsg., 1870

Diese Abneigung gegen Bilingualität zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Der Arzt Adalbert Czerny schrieb in seinem von 1908 bis 1946 unverändert veröffentlichten Werk "Der Arzt als Erzieher des Kindes":

"Der Entwicklung der Sprache geht die des Sprachverständnisses voraus. Hören Kinder immer zwei Sprachen sprechen, so akkomodieren sie sich auch an diesen Zustand. Wenn sie zu sprechen beginnen, wählen sie bald Worte aus dieser, bald aus jener Sprache, und erlernen scheinbar in derselben Zeit zwei Sprachen, in der ein Kind, welches nur eine Sprache hört, sich diese aneignet. Wäre es tatsächlich richtig, daß ein Kind ebensogut zwei Sprachen wie eine erlenen kann, so wäre dies ein Vorteil, den niemand seinen Kindern vorenthalten sollte. Daß dies nicht zutrifft, verrät sich aber, sobald die Kinder die Schule besuchen müssen. Es zeigt sich dann, daß die Kinder keine der beiden Sprachen vollkommen erlernt haben, und daß man genötigt ist, um dem Schulunterricht in einer der beiden Sprachen gerecht zu werden, die andere mit Absicht zu vernachlässigen, damit die Kinder in ihren Leistungen nicht hinter jenen zurückbleiben, welche nur in der Sprache erzogen wurden, welche auch die der Schule ist. Mit Rücksicht auf den Schulunterricht muß es deshalb als richtig erachtet werden, ein Kind anfangs nur in einer Sprache, und zwar derjenigen zu erziehen, welche später die Unterrichtssprache bilden soll. Mit dem Unterricht in einer zweiten Sprache soll erst eingesetzt werden, wenn das Kind die erste gut beherrscht. Die Erziehung eines Kindes in einer Sprache hat außerdem noch den Vorteil, daß dadurch zeitig sein Nationalbewußtsein geweckt wird. Die meisten Überläufer von einer Nation zur anderen beobachtet man dort, wo von Anfang an die Kinder an zwei Sprachen gleichmäßig gewöhnt werden. Solchen Kindern fehlt der Begriff der Muttersprache, weil sie von der Mutter stets zwei Sprachen gehört haben."

Der Arzt als Erzieher des Kindes, Prof. Adalbert Czerny, 1. Auflage 1908, unveränderte 11. Auflage, 1946

Heutzutage sind Englisch und Französisch gern gesehene Zweitsprachen. Doch alle Sprachen sind eine Bereicherung! Keine Kultur ist per se besser als eine andere, und wir können viel von einander lernen. Die Vermischung von Kulturen erhöht die Vielfalt. Sie erweitert das Angebot an Ideen, Idealen und Identitäten, und verbessert somit die Lebensqualität aller.

Wenn es nach mir ginge, könnte sich jeder Mensch frei aussuchen, wo in der Welt er leben möchte.