In diesem Blog wurden bereits verschiedene Formen des Co-Sleepings vorgestellt. Lange war es üblich, dass Stillende und Stillkind sich ein Bett teilten, auch wenn es viele Vorurteile gab, die aber auch widerlegt wurden. In Skandinavien schliefen ganze Familien samt Besuch in einem Bett. Auch in vielen Häusern in deutschsprachigen Gebieten teilten sich ganze Familien, wenn nicht das Bett, dann doch zumindest das Schlafzimmer. Das war durchaus Tradition und nicht nur eine Folge von Platzmangel. 

Doch im Laufe der Industrialisierung und der Verstädterung entstand eine weitere Form des Co-Sleepings: die Untervermietung des bei Tag nicht benutzten Bettes in ärmeren Familien. Diese Untermieter*innen wurden Schlafleute genannt, oder auch Schlafburschen, Schlafmädchen, Schlafgesellen und Bettgenossen.

„Der erste Mensch, der über die Wohnungsfrage, freilich mehr im sanitätlichen und sittlichen als im volkswithschaftlichen Sinne schrieb, war Professor Huber, der schon im Jahre 1838 auf die völlig ungesunden Verhältnisse in den kleinen Wohnungen, wo oft neben den zahlreichen Familien sich noch fremde „Schlafburschen“ aufhalten, aufmerksam machte.“

Vierteljahrschrift für Volkswirtschaft und Kulturgeschichte, Band XIX, Berlin, 1867

Die Mieteinnahmen waren für viele Familien eine willkommene Nebeneinkunft. Ein freies Zimmer zur Vermietung war nicht vorhanden, aber ein Bett stand in jeder Wohnung. 

„In dem gewöhnlich nur einmal in seiner Art vertretenen Bette liegt Mann, Weib und Kinder ebenso, wie sie gerade Platz finden, oft auch die Kinder am Fußboden auf Stroh, und neben ihnen der „miteinwohnende Schlafbursche“; ja zuweilen dient das Bett letzterem und dem Ehepaar abwechselnd als Ruhestätte, je nachdem die Arbeitszeit ihnen eben zu verschiedenen Zeiten gestattet zu Hause zu sein; es kommt auch vor, daß bei genügender Breite der Schlafbursche noch neben dem Ehepaar in dem Bette Platz findet, und wenn der Ehemann etwa frühmorgens zur Arbeit muß, so kümmert es ihn nicht, wenn der Schlafbursche den Rausch vom vorigen Abend noch an der Seite seiner Ehegattin ausschläft.“

Die Verbrecherwelt von Berlin, von Ω. Σ. (Gustav Otto), Berlin und Leipzig, 1886

Ein weiterer Vorteil von Schlafleuten war, dass ein weiteres Bett durchaus besorgt werden konnte. In den Betten konnte auch in Schichten geschlafen werden, so dass noch mehr Einnahmen möglich waren.

„Entschliesst man sich, ein Zimmer an Schlafleute abzugeben, so wird man immer mehrere aufnehmen können, weil eben meistens mehr als ein Bett Platz finden wird. Andererseits zahlen die Schlafleute unverhältnismässig weniger Miethe, und sind die Familien, welche Schlafleute halten, viel mehr auf das Verdienen angewiesen; es werden also hier viel mehr Fälle vorkommen, wo eine Haushaltung 2 und mehr Schlafleute hält, etwas die Hälfte, nämlich 12.998 Haushaltungen haben 1 Schlafburschen, 11.447 Haushaltungen haben 2 und mehr Schlafleute.“

Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. December 1867, Berlin, 1869

*Triggerwarnung Kindesmissbrauch und Vergewaltigung*

Allerdings haben manche Männer sich nicht gescheut, neben dem Bett auch gleich noch ihre Frau und Töchter zu "vermieten".

„Wenn die Schlafburschen, wie angegeben, nun mit der Familie bei Tage und bei Nacht leben, so können nähere Beziehungen, welche sehr bald zu unsittlichen werden, zu der Ehefrau resp. den erwachsenen Töchtern nicht ausbleiben; kommt noch hinzu, dass Ehemann und Schlafburschen nicht gleichzeitige Schichten haben, sondern der Mann die Nachtschicht hat, während der Schlafbursche die Nacht in der Familie zubringt, so bedarf es wohl kaum noch der Erwähnung, dass ein unerlaubtes Verhältniss zu der Frau, womöglich auch zu den oft kaum oder noch nicht erwachsenen Töchtern die nothwendige Folge ist. Für die unsaubersten Verhältnisse dieser Art liegen zahlreiche Beispiele aus dem Rheinland, wie aus dem Oppelner Bezirke vor; ja es liegen durch Zeugenvernehmung erhärtete Fälle vor, in welchen die Schlafburschen Syphilis auf die Ehefrau und durch diese auf den Ehemann, auch auf 11- und 14-jährige Mädchen, die sie mit Wissen der Eltern zur Befriedigung ihrer Lüste gebraucht haben, Syphilis etc. übertragen haben. In vielen Fällen billigt der Ehemann das unlautere Verhältniss der Quartierburschen zu seiner Frau, ja im Rheinland soll oft der bezügliche Miethscontract in schamlostester Weise abgeschlossen werden, vorausgesetzt immer, dass der Schlafbursche eine genügende baare Remuneration gewährt. Diese Zustände sind öffentliches Geheimniss, und scheut dies Treiben oft den Tag nicht einmal.“

Deutsche Vierteljahrschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 12. Band, Braunschweig, 1880

Die folgende detaillierte Aufstellung aus dem Jahr 1886 zeigt die Ausmaße, welche die Untervermietung an Schlafleute in Berlin angenommen hatte. 

"Wenn man in Berlin auch nicht davon sprechen kann, daß die Arbeiterbevölkerung ausschließlich in einem bestimmten Stadttheile wohnt, so überwiegt sie doch naturgemäß in den mehr vom Centrum entfernten Stadtgegenden, in denen die Häuser nach ihrer ganzen Bauart (Familienhäuser) und den billigeren Miethen den Verhältnissen der Arbeiter entsprechender erscheinen. Daß aber die hier vorhandenen Wohnungen sowohl ihrer Zahl als dem Miethspreise nach immer noch nicht genügen, geht u. A. aus den vielfachen Abvermiethungen hervor, durch welche der Miether einen Theil der Miethe auf andere Schultern abzuwälzen sucht. Von den im Jahre 1880 gezählten 256 365 Haushaltungen hatten 18 318 oder 7,1% Einmiether und 39 298 oder 15,3% hielten Schlafleute; von den Haushaltungen mit Einmiethern kamen 2888 auf die diesseitige Louisenstadt, 1910 auf die Friedrichstadt, 1660 auf das Spandauer Viertel, 1520 auf die Oranienburger Vorstadt, 1322 auf das Stralauer Viertel und 1253 auf die Rosenthaler Vorstadt. In der Thiergartenvorstadt fanden sich dagegen nue 43, in der unteren Friedrichsvorstadt 86 u. f. w. - Von den 39 298 Haushaltungen mit Schlafleuten kamen 6068 auf das Stralauer Viertel. 5923 auf die jenseitige, 4706 auf die diesseitige Louisenstadt, 3840 auf die Rosenthaler- 3262 auf die Oranienburgervorstadt.

Am günstigsten stand auch hier die Thiergartenvorstadt (28) und die untere Friedrichsvorstadt (69); es folgt Neu-Cöln (216) und die Dorotheenstadt mit 243 u. s. w.

Diese 39 298 Haushaltungen mit Schlafleuten werfen einen dunklen Schatten auf die Berliner Wohnverhältnisse, der noch intensiver wird, wenn man auf Einzelheiten eingeht. Es fanden sich nämlich u. A. eine Haushaltung mit 34 Schlafburschen (diesseit. Luisenstadt), eine mit 11 Schlafleuten - 9 m, 2 w - ebendort, dann 7 mit 10 Schlafleuten. - Je eine Person (männlich oder weiblich) befanden sich in 16 192. bezw. 9165 Haushaltungen, je 2 Schlafburschen in 6284, 1 Schlafbursche und 1 Schlafmädchen in 1669 Haushaltungen u. s. w. Noch trüber wird das Bild, wenn man erwägt, daß sich unter jenen 39 298 Haushaltungen 15 065 oder ca. 38% befanden, die nur über einen Raum verfügten, in dem auch außer der Familie, event. mit Kindern, noch Schlafleute aufhielten; von den 15 065 hier in Betracht kommenden Haushaltungen mit einem Raum hatten 6953 noch 1 Schlafburschen, 4132 noch 1 Schlafmädchen; in 1790 Haushaltungen fanden sich noch 2 Schlafburschen, in 607 je 1 Schlafbursche und 1 Schlafmädchen, in 721 2 Schlafmädchen; 357 hatten 3 Schlafburschen. Die höchste Zahl war: 8 Schlafleute - 7 m, 1 w - in einem Raum, in einer Haushaltung von einem Ehepaar mit Kindern und 10 männl. Schlafleute in einer Haushaltung von einem Raum, wo eine Frau den Vorstand bildete!"

Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten, 2. Band, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Leipzig, 1886

Wir können doch froh sein, dass diese Art des Co-Sleepings heute nicht mehr notwendig ist.