Die "Liebig'sche Suppe" gilt als erster moderner Muttermilchersatz. Als Justus von Liebig seine "Suppe" 1865 erfand, lebte er in München und war Professor an der dortigen Universität. Seine eigenen Kinder waren längst erwachsen.

Ein früher Konkurrent der Liebig'schen Suppe war das Nestlé'sche Kindermehl. Henri Nestlé erfand es 1867 in Vevey, in der Schweiz. Er war 53 Jahre alt und kinderlos. Geboren wurde er in Frankfurt am Main und seine Familie stammte aus Schwaben.

In seiner Biographie auf der Firmenseite von Nestlé wird berichtet, dass Henri einen frühgeborenen Jungen bei sich aufgenommen und ihm mit seiner neuen Erfindung das Leben gerettet habe. Henri Nestlé wird als Gönner und Menschenfreund dargestellt. Ich behaupte, er hat einfach die Gelegenheit genutzt, sein Produkt am Menschen auszuprobieren.

Beide Erfinder dürften sich der geringen Stillquoten in ihren Gegenden bewusst gewesen sein. Wir wissen heute, dass die Stillquoten gering waren, da die damals vorherrschende Säuglingssterblichkeit und die Geburtenabstände Bände sprechen. Säuglinge bekamen Gemische aus Tiermilch, altem Brot oder Ei statt der zu jener Zeit tatsächlich lebensnotwendigen Muttermilch. Muttermilchersatz wurde demnach nicht erfunden, um Waisen oder Kinder stillunfähiger Mütter zu retten, sondern weil Mütter nicht stillten.

Die große Frage ist, warum die Mütter nicht stillten, wenn es doch keinen adäquaten Muttermilchersatz gab. Zumindest für Süddeutschland kann ich sagen, dass es dort insbesondere bei der Landbevölkerung üblich war, dass die Kinderpflege den Großmüttern und anderen Familienmitgliedern überlassen wurde, während die Mütter beispielsweise auf dem Feld arbeiteten. In anderen Gegenden Deutschlands wurde das anders gehandhabt und dort waren auch die Sterbequoten deutlich geringer. Ob die Frauen freiwillig nicht gestillt haben oder es ihnen untersagt wurde, wäre noch eine weitere gute Frage, die es zu klären gäbe.

Zudem mag der Zusammenhang zwischen Nichtstillen und hoher Säuglingssterblichkeit zwar auch damals schon den Statistikern und Ärzten aufgefallen sein, nicht aber unbedingt den betroffenen Familien selber. Krankheit und Tod gehörten einfach zum Leben und wurden oft als gottgegeben hingenommen. Außerdem ist es schwierig, große Zusammenhänge zu erkennen, wenn man mittendrin steckt. Das ist auch heute noch so. Wenn mein Kind beispielsweise häufig Mittelohrentzündungen hat, denke ich ja auch erst mal, dass es einfach anfällig dafür ist, und nicht, dass es wahrscheinlich weniger häufig welche hätte, würde es gestillt werden. Fachleute wissen aber sehr wohl, dass das Nichtstillen das Risiko für Mittelohrentzündungen hebt.

Doch warum auch immer so viele Kinder bereits zur Mitte des 19.Jahrhunderts nicht gestillt wurden, so steht fest: das absichtliche Nichtstillen ist älter als die Pulvermilch. Die Erfinder wollten nicht schicksalsgebeutelten Kindern helfen, sondern schlugen Profit aus der Situation der Mütter. Sie konnten zunächst auch nicht wissen, ob ihre Produkte für die alleinige Ernährung geeignet waren. Zwar haben sie versucht, die Produkte der Muttermilch anzupassen, doch bezog sich das erst nur auf Fettanteil, Kohlenhydratanteil, Wasseranteil und Salze. Denn auf andere Stoffe konnte man noch nicht untersuchen, geschweige denn sie hinzufügen.

Dieses "Anpassen" war vor allem ein Verkaufsargument. Auch die hausgemachten Gemische waren ja ein Versuch gewesen, den Ersatz der Muttermilch ähnlich zu machen. Und irgendwie muss man die Leute dazu bekommen, Geld für etwas auszugeben, was sie bisher mit bereits vorhandenen Lebensmitteln selbst hergestellt haben. Schon seit seiner Erfindung ging es beim Muttermilchersatz also in erster Linie um Profit, erst danach um die Gesundheit der Kinder.