"Neugeborene und ganz junge Säuglinge weinen bekanntlich nicht. Sie sondern nach aussen keine Thränen ab, mögen sie noch so stark schreien. Später schreien und weinen die Kinder zugleich und können schreien ohne zu weinen, aber noch viel später sind sie erst im Stande, zu weinen ohne zu schreien."
Die Seele des Kindes - Beobachtungen über die geistige Entwicklung des Menschen in den ersten Lebensjahren, William Preyer, 4. Auflage, 1895

Hier sehen wir mal eine Erklärung dafür, warum in sämtlichen Säuglingspflegebüchern des 19. Jahrhunderts immer vom Schreien der Säuglinge gesprochen wurde, aber nie vom Weinen. Als Weinen galt ausschließlich der Tränenfluss.

"Für das Schreiweinen kleiner Kinder ist dagegen höchst charakteristisch das Herabziehen der Mundwinkel und das Stirnrunzeln. (...)
Das Stirnrunzeln wird zwar gleichfalls stets beim Schreiweinen mit zugekniffenen Augen beobachtet, ist aber anfangs eine ohne verdriessliche Stimmung oft vorkommende impulsive Bewegung."
Die Seele des Kindes - Beobachtungen über die geistige Entwicklung des Menschen in den ersten Lebensjahren, William Preyer, 4. Auflage, 1895

Weinen und Stirnrunzeln sind Beispiele dafür, wie die Gefühle von Babys nicht ernst genommen wurden. Nur wenn ein Baby aus denselben Gründen wie ein Erwachsener etwas tat, wurde es als "richtige" Reaktion betrachtet. Alles andere wurde der Unreife zugeschrieben und galt demnach als nicht beachtenswert.

Es ist dies eines der vielen Zeichen des Behaviorismus. Letztlich hat es dazu geführt, dass es leichter fiel, sich vom Weinen des Kindes - und somit vom Kind und seinen Bedürfnissen - zu distanzieren. Selbst Schmerzäußerungen konnten dadurch ignoriert werden. 

Auch hier leidet die Bindung und das Urvertrauen des Kindes wird zerstört. All das spiegelt sich in der Wortwahl wider. Es ist daher nicht egal, wie wir über Kinder, ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse sprechen.