"Affenliebe" war ein weit verbreiteter Begriff für Verhätscheln und Versorgen von Kindern, das als übermäßig angesehen wurde. Eltern, die ihr Kind nach Strich und Faden "verwöhnten", überschütten es mit "Affenliebe". Sie ging über das eh schon verpönte "Verwöhnen" hinaus, indem "verwöhnen" - also das Gewöhnen an etwas falsches oder gar schädliches - in einzelnen Punkten und auch unabsichtlich geschehen konnte. Hinter der "Affenliebe" jedoch steckte eine Absicht der Eltern.
Der Begriff ist sehr alt.
"Vil Eltern vnd sonderlich die Mütter haben ihre Kinder dermassen lieb, daß sie nit wissen wie sie selbige nur zartigklich gnug erziehen sollen. Alles was sie vermeinen, daß den Kindern geliebt vnnd gesellig ist, das geben vnd verstatten sie ihnen; Von zarter jugent auff müssen sie alle hoffart in Klaidern haben vnnd die beste bissel essen vnnd Wein schlecken : An allen irten tregt oder führet man sie auß, vnd zu allen täntzen vnd gesellschafften, damit sie gesehen, bekant vnd von ihrer schönheit vnnd holdtseligkeit wegen gelobt werden. Alles was ihre liebe Söhn- vnd Töchterlein thun, das ist recht vnnd wol getan, da darff niemandt nichts wider sagen, so gar der Vatter darff ihnen keinen straich geben, vnd die Praeceptores müssen sie mit dem schußschwantz streichen. Ist aber das nit ein Affenlieb? heißt das nit das Kindt auß lieb zertrucken? O grausame und unbarmhertzige Mütter, welche selbst ein vrsach der verdamnuß ihrer eignen Kinder seind? dann vnderm schein der pietet, güte und mitleydens verderben sie ihre Kinder und sich selbst."
Hirnschleiffer, Aegidius Albertinus, 1618
Und er hielt sich sehr lange.
"Ein Zuviel an Liebe, das wir als "Affenliebe" kennen, ist ebenso schlecht wie Lieblosigkeit. Sie erzieht zu Brutalität, Gemeinheit, Tyrannei oder zur Unselbständigkeit und somit zur Lebensuntüchtigkeit."
Mutter und Säugling in gesunden und kranken Tagen, Helene Howad, 1954
Doch was genau bedeutet der Begriff? Und warum wurden gerade Affen dafür bemüht? Der Gymnasialdirektor Dr. Adolf Matthias gibt darauf eine ausführliche Antwort in seinem Ratgeber "Wie erziehen wir unseren Sohn Benjamin? Ein Buch für deutsche Väter und Mütter" von 1897. Er widmet der Affenliebe ein ganzes Kapitel, in welchem er auch Beispiele bringt.
"Du kannst einer affenliebenden Mutter, auch wohl einem Vater gleichen Kalibers stundenlang Vernunft predigen; sie sehen vielleicht ein, daß Du recht hast; sie gehen von Dir mit dem besten Entschluß, Deinem Rate zu folgen; wenn sie aber ihrem Jüngelchen gegenüber stehen, wenn's zum Handeln kommt, folgen sie dem falschen Naturtriebe des Herzens und nicht der Vernunft. Sie thun, was sie nicht lassen können, sie thun nicht, was sie vernünftigerweise thun sollten. Luthers Wort bewahrheitet sich hier: 'Die falsche Naturliebe verblendet die Eltern, daß sie das Fleisch ihrer Kinder mehr achten denn die Seele.' Die Affenliebe kann ja nicht hart sein, nicht verwehren, nicht nein sagen für das wahre Wohl des Kindes, sie kann nur ja sagen zu seinem Schaden; sie läßt sich vom blinden Gutsein wie von einem Naturtriebe beherrschen, erlaubt, wo sie verbieten, ist nachsichtig, wo sie strafen, läßt geschehen, wo sie verwehren sollte. Die Affenliebe ermangelt jeden klaren Bewußtseins in Beziehung auf das Erziehungsziel; sie ist kurzsichtig; sie will dem Kinde wohl thun, aber sie wählt falsche Mittel; sie läßt sich von augenblicklichen Empfindungen verleiten, anstatt sich von ruhiger Besonnenheit und Überlegung leiten zu lassen. Sie wird, anstatt das Kind zu führen, von diesem verführt. Sie hat keine ruhige, echte Widerstandskraft und läßt sich von des Kindes Widerspruch, Eigensinn, Trotz oder auch von Bitten, Schmeicheleien, Thränen des jungen Tyrannen tyrannisieren. Sie ist das Gegentheil von wahrer Liebe, die auch vor Strafe nicht zurückschreckt. Die Bibel sagt (Sirach 30,1): 'Wer sein Kind lieb hat, der hält es stets unter der Rute, daß er hernach Freude an ihm erlebe', und ein andermal (Sirach 30,9): 'Zärtle mit deinem Kinde, so mußt du dich hernach vor ihm fürchten; spiele mit ihm, so wird es dich hernach betrüben.' Wer sein Kind verzärtelt, hat niemals dessen wirkliche zukünftige Wohlfahrt im Auge, sondern sein eigenes und des Kindes augenblickliches Wohlbehagen. Affenliebe ist im Grunde nichts weiter als Selbstliebe, die keine Selbstverleugnung zum Besten des Kindes üben kann, die die eigenen schwächlichen Neigungen nicht bekämpfen kann. Und die Folgen affenliebender Erziehung sind meist recht traurige. Das Kind wird unfähig sich etwas zu versagen oder das geringste Widerwärtige zu tragen; es kehrt sehr bald anspruchsvolles Wesen heraus, offenbart Mangel an Liebe und Pietät und zeigt geradezu Lieblosigkeit gegen seine Eltern. Es kommt vor, daß mit Affenliebe erzogene Kinder grobe Ungezogenheiten gegen ihre Eltern begehen. Und wenn sich diese dann über Undankbarkeit des Kindes beklagen, so thun sie dem Kinde unrecht; denn für schlechte und verkehrte Erziehung soll man keinen Dank verlangen, sondern Strafe. Wenn doch die affenliebenden Eltern bedenken wollten, wem sie sich gleichstellen. Der bekannte Brehm möge sie darüber belehren; nachdem er in seinen populären Vorträgen ('Vom Nordpol bis zum Äquator', S.227) die Hilflosigkeit der neugeborenen Affen geschildert hat, sagt er: 'Erst nach Ablauf geraumer Zeit, selten früher als nach Monatsfrist, beginnen sie einzelne Bewegungen zu versuchen, benehmen sich jedoch dabei so ungeschickt, daß sie her zum Mitleid als zum Lachen reizen. Diese Wechselbälge aber werden, vielleicht gerade ihrer Hilflosigkeit halber, von ihren Müttern mit solcher Zärtlichkeit betrachtet und behandelt, dass der Ausdruck "Affenliebe" durchaus richtig erscheinen muß. Jede Affenmutter macht sich beständig mit ihrem Sprößling zu schaffen; bald leckt sie ihn, bald reinigt sie sein Fell, bald nimmt sie ihn in beide Hände, als wolle sie an seinem Anblick sich weiden, bald schauketl sie ihn, als wolle sie ihn einwiegen ...' Während die Tiere sonst nach dem ihnen anerschaffenen Triebe immer nur für das wirkliche Bedürfnis der Jungen sorgen, während z. B. die Schwalbe die Kunden nur so lange äzt, als sie nicht selbst fliegen und sich Nahrung verschaffen können, scheint nur dem Affen mit seiner Menschenähnlichkeit das Vorrecht verliehen zu sein, sein Junges mit Liebe zu Tode zu quälen. Wenn Darwin Recht hat mit seiner Entwicklungstheorie in Bezug auf die Abstammung des Menschen, so haben wir die Affenliebe als ein Erbstück hoher Ahnen anzusehen. Seine genealogische Tafel aber bis zu den Bewohnern hoher Äste zurückzuführen, wie manche Eltern den inneren Drang verspüren, ist mindestens Geschmacksache."
Wie erziehen wir unseren Sohn Benjamin? Ein Buch für deutsche Väter und Mütter, Dr. Adolf Matthias, 1897
Wir sehen hier wieder einmal deutlich die Dissoziation von den Instinkten, da sie als etwas Niederes gelten, das vom Verstand zu kontrollieren ist. Intuition und Gefühl waren verpönt in der Kindererziehung. Gute Eltern haben demnach eine emotionale Distanz zu ihrem Kind. Emotionale Distanz führte uns aber in die Spirale der autoritären Erziehung und letztlich zur Schwarzen Pädagogik.
Letztlich zeigt uns die Verbreitung des Begriffes "Affenliebe" aber, dass es zu jeder Zeit Eltern gegeben hat, die ihr eigenes Ding durchgezogen haben und ihre Kinder mit Rücksicht und Respekt satt mit Gehorsam und Strafe erzogen haben.