Dieser Artikel erschien zuerst in der Stillzeit 4/2009 (Vereinszeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen)

Als der kleine Heinrich geboren wurde, war er bedeckt mit Käseschmiere, wie es jedes Kind bei seiner Geburt mehr oder weniger ist. Diese Käseschmiere oder -firniss galt es zu entfernen. "Durch gelindes Reiben und Waschen in dem Bade wird das Kind von dem anklebenden Firniß und Schmutz befreit, und die zur Gesundheit nöthige Ausdünstung durch die Haut dadurch erleichtert." [Henke, 1832] Unmittelbar nach der Geburt wurde unser Heinrich nun gebadet. Doch wie sah dieses Baden aus? Um das beurteilen zu können, betrachten wir, wie warm, womit und wie lange gebadet wurde.

Temperatur

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts "hat man viel darüber gestritten, ob man zum ersten Bade des Kindes warmes oder kaltes Wasser nehmen solle? Viele Aerzte und Erzieher glaubten damals, durch das kalte Bad und die Abhärtungsmethode, von dem Augenblick der Geburt angewandt, eine neue viel stärkere und kräftigere Generation zu bilden." [Henke, 1832] Doch es zeigte sich bald, dass das kalte Baden mehr schadet als nützt. So wurde fortan in lauwarmem Wasser gebadet. Allmählich ging man dazu über, genaue Grad-Angaben zu machen. Zunächst noch nach der Réaumurschen Skala, nach einer Übergangszeit mit beiden Skalen wurden dann nur noch Celsius-Grade angegeben.

Das Wasser wurde immer wärmer. Ist 1854 noch von 26-28° R (32,5-35° C) die Rede [von Ammon, 1854], so sind es 1891 schon 28-29°R (35-37° C) [Kübler, 1891]. Offenbar war die Temperatur des Bades immer wieder Gegenstand von Überlegungen. "Neuere Untersuchungen haben überdies ergeben, daß selbst nach Bädern von 29° R. eine Temperaturabnahme bei Kindern erfolgt, die durchschnittlich 20 Minuten nach dem Bade ihre höchste Höhe erreicht und bei Bädern von 26° R. fast einen halben Grad beträgt. Bei Kochsalzbädern (von 2-4%) ist die Temperaturerniedrigung etwas geringer."[von Ammon, 1892] Bis Mitte der 1910er Jahre blieb es bei 35-37° C. 1921 und 1930 sind es wieder nur noch 35°C [Köhler, 1921; Birk/Mayer, 1830].

Hilfsmittel

Um die Käseschmiere leichter entfernen zu können, hat man sich diverser Zusätze bedient. Häufig wurde eine feine, milde Seife genommen. Lange Zeit waren auch Milch oder Eigelb das Mittel der Wahl. Ein halber bis ein ganzer Liter Milch wurde dem Badewasser beigegeben oder das Kind mit Eigelb bestrichen. Desweiteren benutzte man ungesalzene Butter, Schweineschmalz oder auch Weizenkleie. "Bei sehr schwächlichen Kindern, mit bleicher, welker, zusammengefallener Haut, bei denen das Athemholen und der Blutumlauf nicht recht in Gang kommen will, ist ein Zusatz von warmem Wein zum Bade heilsam. Zuviel darf davon nicht genommen werden, um das Kind nicht zu betäuben, so wie aus gleichem Grunde starke Liqueurs und sogenannte wohlriechende Wasser zu vermeiden sind." [Henke, 1832] Später wurden auch Öl oder Vaseline benutzt.

Das Kind wurde mit einem Schwamm, einem Leinentuch, der blanken Hand oder mit Watte gewaschen. Die Augen durften nicht mit dem Badewasser gesäubert werden. Dafür nahm man frisches, lauwarmes Wasser und auch einen frischen Schwamm. Augenentzündungen sollten so vermieden werden und wurden es sicherlich auch.

Badedauer

Im 19. Jahrhundert schwankten die Angaben, wie lange das erste Reinigungsbad maximal dauern solle, zwischen fünf bis zehn Minuten. Dabei wurde immer wieder betont, dass es in Ordnung sei, wenn nicht die gesamte Käseschmiere im ersten Bad entfernt würde. Das passiere dann eben im zweiten oder dritten Bad. Im 20. Jahrhundert ging man dazu über, das Kind zunächst auf dem Wickeltisch zu waschen und dann nur noch kurz für 2-3 Minuten zu baden. Das Bad diente nun dazu, auch den letzten Rest der Käseschmiere zu entfernen.

Bemerkenswert ist, dass Friedrich von Ammon 1854 in der 6. Auflage seines Buches Mutterpflichten noch schreibt, dass das Kind gebadet wird, teils um die Käseschmiere zu entfernen, "theils aber auch, um das jetzige Leben dem frühern Aufenthalte in dem warmen Fruchtwasser der Gebärmutter so ähnlich als möglich zu machen" [von Ammon, 1854]. Dieser Zusatz ist in der 33. Auflage aus dem Jahr 1892, die 31 Jahre nach von Ammons Tod erschien, ersatzlos gestrichen [von Ammon, 1892].

Meist wurde das Kind nach dem ersten Bad in den folgenden Tagen nur noch gewaschen bis der Nabel vollends verheilt war. Hermann Klencke jedoch sah das anders. Bei ihm wurden die Kinder die ersten 12-16 Stunden hindurch nach jedem Aufwachen erneut gebadet. [Klencke, 1875]

Wie das erste Bad aussah, hat sich also innerhalb von hundert Jahren bedeutend geändert. Zeitweise hatte es einen rituellen, ja liebevollen Charakter. Doch es wandelte sich in einen bloßen Reinigungsvorgang. Sicherlich waren die verwendeten Zusätze aus heutiger Sicht nicht unbedenklich. Es lässt sich nur vermuten, was für Folgen sie im Einzelfall gehabt haben mögen.

Nach dem Bade wurde der kleine Heinrich in warmes Linnen gehüllt und sanft abgetrocknet. Anschließend wurde er passend gekleidet und durfte sich dann im Schlaf von den Anstrengungen der letzten Stunden erholen.