Der Tragemantel (auch Tragmantel, Kindertragemantel, Kindermantel oder Hockmantel genannt) war vor allem in Thüringen sehr verbreitet. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde er benutzt. 

Es handelte sich um eine Art zweilagiges Cape. In die äußere, kürzere Lage wurde das Kind eingewickelt, so dass es genug Halt bekam, um mit einem Arm getragen zu werden. Die innere, längere Lage wärrmte die tragende Person. Die Tragweisen waren unterschiedlich. Manchmal saß das Kind auf dem Arm. Manchmal - insbesondere, wenn es noch nicht sitzen konnte, lag es im Stoff.

Der Prediger Karl Witte war begeistert von diesem Tragemantel und lobte insbesondere die Nähe, die dieser ermöglichte.

Bei dieser Gelegenheit sei es mir erlaubt, die Kindermäntel anzupreisen, welche man in der Gegend von Halle so allgemein hat. Sie sind groß genug, daß die Wärterinn sich und das Kind bequem einwickeln kann; sie gehen tief genug hinab, daß auch die Beine des Kindes, selbst wenn sie bloß sein sollten, warm bleiben können. Das Kind wird nie durch die Arme der Wärterinn, sondern durch den weicheren Mantel festgehalten. Macht jene also den Mantel nicht unvernünftig fest, so schadet es dem Kinde nichts, sondern es kann bloß um so weniger fallen. 
Schnürt sie den Mantel ja zu fest, so beschwert dies sie selbst, und der Zipfel, der zuletzt unter dem Arm durchgeht, um das Ganze festzuhalten, wird sich bald so weit herausziehen, bis alles loser ist.
Wo ich keine Kindermäntel fand, hörte ich weit mehr von Wechselbälgen, vertauschten Kindern, Behexungen derselben und dergleichen. Ganz natürlich! - Kindermäntel und - größere Aufmerksamkeit würden alle diese Teufel schnell vertrieben haben. 

Karl Witte, oder: Erziehungs- und Bildungsgeschichte desselben, Erster Theil, Karl Witte, 1819

Getragen wurde der Kindermantel von allen Personen, die auf das Kind aufpassten. Diese wurden meist unter dem Begriff Wärterin zusammengefasst. Warten bedeutete nichts anderes als sich zu kümmern; vergleichbar mit dem Englischen Begriff waiter/waitress. der ja auch von to wait - warten kommt.

Kinderwärterinnen halten einen Mantel für unentbehrlich; zuweilen sieht man auch einen Greis, der sein Enkelchen trägt, mit dem „Kindermantel“ umhüllt.

Landeskunde des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt, Berthold Sigismund, 1862

Ärzte jedoch waren von dem Tragemantel nicht begeistert. Ihrer Meinung nach förderte er das Schiefwachsen der Kinder. Sie machten sich im späten 19. Jahrhundert dafür stark, dass der Kindermantel durch den Kinderwagen ersetzt würde. Und wenn schon nicht im Kinderwagen gefahren, so sollte das Kind doch wenigstens in einem Tragekissen oder Steckkissen getragen werden, weil sie darin flach liegen konnten.

Weg mit dem Tragemantel! 

Unabweislich jedoch scheint mir der Bruch mit einer, in Norddeutschland wenigstens weit verbreiteten Sitte oder vielmehr Unsitte der Kinderhaltung, nemlich dem Gebrauche des Kindertragemantels, welcher mit Nabelbinde und Wickelband den „Dritten im Bunde“ zur Mißhandlung des Säuglings bildet. Eingestandenermaßen von vornherein zur Bequemlichkeit der Trägerin, nicht zum Vortheile des Getragenen bestimmt, fügt er zur Beschränkung des Freiathmens noch Fesselung der Gliedmaßen, besonders der Beine, welche mit der Zeit davon krumm werden. Doch auch auf den Brustkorb wirkt er ebenfalls verbiegend und überdies benützt luftscheuer Sinn den Kragen dazu, um dem Kinde auch noch die Luft vom Gesichte her abzuschneiden. Die geehrte Leserin vergegenwärtige sich nur das Bild einer ein Kind im Mantel wartenden und mit dem linken Arme irgend etwas Anderes handirenden Mutter aus niederem Stande, wie sie um die Mittagsstunde häufig auf der Straße gesehen wird, wenn sie nemlich dem Manne das Essen zuträgt: das leibhaftige Gegenstück zu jener ihr Kind in einer Art Hängematte tragenden Schwedin, welche erstere wie eine Reisetasche an einem Riemen an der Seite oder quer über dem Rücken von den Schultern herabhängt: das Kind erscheint weniger „gewartet“, denn als Ballast in's Schlepptau genommen und mit den Beinen wie zur Verbiegung ausdrücklich bandagirt. Weiter denke man sich das im Tragemantel sitzende, mit einer, gewöhnlich der linken Brusthälfte, diese nischenartig ausbiegend, an den Körper der Trägerin angeschmiegte Kind, so liegt auf der Hand, daß es mit dieser Seite gar nicht athmen kann und, wenn's diese Haltung gewohnt wird, auch sein Rückgrat nach der Seite ausbiegen muß, wie denn Rückgratskrümmungen schon bei Kindern unter zwei Jahren keine Seltenheit mehr sind. Nicht viel glimpflicher als jene Arbeiterfrauen mit den eigenen verfahren die Kindermädchen und Wärterinnen mit den Kindern besserer Stände, wie ich das auf Promenaden reichlich beobachtete. Ich selbst aber hatte einst an meinem früheren Wohnorte Noth, ein Mädchen zu bekommen, das sich nicht „genirte“, das Kind ohne Mantel oder gar im Wickelkissen auszutragen! An meinem neuen Wohnorte war ich denn nicht wenig erfreut, die schon gerühmte Sitte des Korbwagens als „Fashion“ vorzufinden, wie denn diese ganze letzte Ausführung darauf hinausging, das früher nur kurz angedeutete Gebot positiv und negativ zu begründen, das Gebot nemlich, daß unter 3 Monaten kein Kind in einer anderen als in der ausgestreckten Körperhaltung, bei möglichst freier Bekleidung, gewartet, mit anderen Worten: aus dem Wickelkissen genommen werden darf. 

Aerztlicher Rathgeber für Mütter, Dr. Paul Niemeyer, 1877

In der Bevölkerung hatte der Mantel jedoch einen festen Platz und es ist anzunehmen, dass die Tragenden das Tragen einfach liebten.

Zu ihrer nahen Entbindung hatte unsere Marie ihr einen Kindermantel geschickt; sehr liebenswürdig schrieb die Beschenkte beim heitern Danke (12. Juni): „So ein Kindermantel ist eigentlich ein rechtes Bild von der Gnade und Liebe des Herrn: bis über die Ohren sind wir hineingewickelt, und nur die Augen sind uns freigelassen, daß wir überschauen können, wie sicher wir darin ruhen“

Gesammelte Schriften, Band 3, Marie Nathusius, 1876

Fanny Lewald schrieb 1877 in einem Brief, dass sie German Home Life von einer anonymen Autorin gelesen habe. Dieses Buch ging Frau Lewald gehörig gegen den Strich. Besonders die arrogante Haltung der englischen Lady fand sie unerträglich. In diesem Auszug beschreibt Fanny Lewald den Kulturclash zwischen schiebender Engländerin und tragenden Deutschen. Der Kinderwagen stieß hierzulande sehr lange auf Wiederstand. 

Bei ihrem zweiten Aufenthalt in Deutschland ist sie unter uns erschienen, mit einem schwächlichen Kinde, ohne Wärterin für dasselbe; bewaffnet mit einem Kinderwagen und mit dem felsenfesten Glauben, daß in England Alles ganz vollkommen sei, daß es in jedem civilisirten Lande gerade so sein müsse wie in England, und daß es in allen Lebensschichten eines fremden Volkes gerade so und nicht anders hergehen müsse wie in den Familien wohlhabender Engländer. (…)
Sie kommt bei ihrem zweiten Aufenthalte nach einem Orte, an welchem man noch keine Kinderwagen kennt. Das muß beiläufig sehr lange her und ein sehr weitentlegener Ort gewesen sein. Sie findet an dem Orte die Sitte, daß die Wärterinnen, wie es in Sachsen und in Thüringen vielfach heute noch üblich ist, halb lange Mäntel, und in diesen die Kinder auf den Armen tragen, um die kleinen Körper vor Erkältung zu schützen, was reichlich so berechtigt ist, als sie in der Kälte mit nackten Beinchen umherlaufen zu lassen, während sie dicke Federhüte auf den Köpfen tragen; und sie ist empört über die dumme Widerspenstigkeit der deutschen Mägde, weil ihre Magd aus Furcht verlacht zu werden, es ihr weigert, das Kind in dem Kinderwagen durch die Stadt zu fahren. Aber versuchen Sie es doch, Verehrte! Ihrer vollkommenen englischen Wärterin den sächsischen Kindermantel umzuhängen und sie damit nach Regent-Quadrant hinauszuschicken! Ob Miß Mary gehen, ob Sie Gehorsam finden würden?

Reisebriefe aus Deutschland, Italien und Frankreich (1877, 1878), Fanny Lewald, 1880

Neben dem Mantel gab es auch Trageweisen mit Tüchern.

Wenn in der Schweiz (Kanton Appenzell) das Wickelkind zur Taufe getragen wird, so geschieht das in ähnlicher Form, wie bei uns in Deutschland zumeist, auf beiden Armen, d.h. in Betten eingehüllt und mit einem grossen, gestickten Tuche überdeckt. Während die wendische Bäuerin in einem großen Umschlagtuche, das sie über die Schulter einerseits und um die Hüfte andererseits geschlungen hat, das Kind vor ihrer Brust haltend trägt, ist in Thüringen, speciell Henneberg, eine eigenthümliche Art, die Kinder zu tragen, sehr beliebt; die ist für das Gedeihen derselben höchst unzuträglich, gewährt aber den Frauen den freien Gebrauch des rechten Arms. Die Kinder werden nämlich in einem sogenannten Kindermantel, den die Wärterin über ihre linke Schulter trägt, und der ihr, nach unten bis an die Schenkel reichend, unter der rechten Achsel nach vorn gezogen wird, auf dem linken Arme sitzend getragen, indem der Kindermantel über die Beine des Kleinen so fest zusammengeschlagen wird, dass das Kind vollständig in der Bewegung seiner Beine behindert wird. Das fortwährende Tragen des Kindes auf nur Einer Seite gefährdet das Kind, sich an eine schiefe, gekrümmte Haltung zu gewöhnen. - In der Gegend von Göttingen schlägt man ein grosses viereckiges Tuch zusammen, dass es drei Ecken bildet; dasselbe hängt die Mutter über ihre Schultern und setzt das Kind hinten zwischen Rücken und Tuch, dessen vorn über die Brust kreuzweise laufende Zipfel wiederum rechts und links nach hinten geführt und auf dem Rücken in der Gegend der Taille zuzammengeknüpft werden.

Das Kind in Brauch und Sitte der Völker, Band 2, Hermann Heinrich Ploss, 1884

Es gibt leider nur wenige Abbildungen von Tragemänteln. In den wenigen, die es gibt, ist die tatsächliche Wickelart nur schwer zu erkennen. Die Beschreibungen sind auch nicht unbedingt hilfreich. Auf diesem Bild hier scheint die untere Lage einfach nur über das Kind geschlagen zu sein. Die tragende Person hat keine Hand frei. Die Vermutung liegt nahe, dass Trageweisen innerhalb einer Familie oder einer Gemeinde weitergegeben wurden, aber nicht allgemeingültig waren. Möglicherweise hatte auch jede tragende Person ihre eigenen Kniffe.

Es sei auch gleich an dieser Stelle auf den Kindermantel hingewiesen (Fig. 86), welcher gerade in Thüringen ungemein verbreitet ist und daher zu den Charakterstücken der Thüringer Tracht zählen dürfte. (Die der Figur zu Grunde liegende Photographie ist von Nr. 204 der Junghanß und Koritzer in Meiningen erschienenen Bilder aus Thüringen entnommen.)

Thüringen. Ein geographisches Handbuch, Band 2 Biogeographie, Ausgabe 2, Fritz Regel, 1895