Auch wenn die Nabelschnur selten länger als die erste Lebenswoche ein Thema für Eltern ist, so lohnt es sich doch, den Umgang damit in früheren Zeiten einmal genauer zu betrachten.
Heutzutage lassen wir die Nabelschnur, wenn möglich, auspulsieren, bevor sie abgeklemmt und durchtrennt wird. Danach lassen wir sie austrocknen bis sie von allein abfällt. In der Zwischenzeit sorgen wir nur dafür, dass das Baby sich an dem Nabelschnurrest und der Klammer nicht wund scheuert. Doch dieses Verfahren hat sich erst vor nicht allzulanger Zeit etabliert. Davor gab es Diskussionen über den besten Zeitpunkt des Abnabelns, die Art und Weise des Abnabelns und die Nabelpflege.
1812 Handbuch der gerichtlichen Arzeneywissenschaft
Schauen wir uns zunächst einmal an, warum die Nabelschnur überhaupt abgebunden werden muss. In diesem Beitrag aus einem gerichtsmedizinischen Buch wird das gut deutlich. Hier geht es um verstorbene Babys. Darum gebe ich eine Triggerwarnung. Ihr könnt einfach zum nächsten Abschnitt scrollen, wenn ihr das nicht lesen wollt.
"§. 297.
Eine den neugebornen Kindern eigene Todesart ist die Verblutung durch den Nabel selbst, oder durch das an demselben befindliche getrennte aber ununterbundene Ende der Nabelschnut. Obgleich die Möglichkeit einer Verblutung durch den Nabel von Einigen ganz geläugnet worden ist, so ist sie doch von Andern wieder vertheidigt, und so ein weitläufiger Streit über die Nothwendigkeit der Unterbindung der Nabelschnur, zur Verhütung tödlicher Blutflüsse durch dieselbe, entstanden u). Aller dieser Streit muss aber wegfallen, wenn wir auf die Erfahrung sehen, welche unwidersprechlich bewiesen hat, dass nicht selten Verblutungen durch den Nabel Statt finden. Es ist jedoch nothwendig, die Fälle genauer zu bestimmen, in welchen eine solche Verblutung erfolgen kann: da gleichfalls die Erfahrung bewiesen hat, dass die Nabelschnur wohl auch ununterbunden bleiben kann, ohne dass eine Verblutung erfolgt.Am leichtesten erfolgt sie, wenn die Nabelschnur im Nabel selbst getrennt ist. Ferner desto leichter, je näher am Nabel die Trennung der Nabelschnut geschehen; leichter, wenn diese abgeschnitten, als wenn sie abgerissen und gequetscht ist; leichter bey Einwirkung öusserer Wärme, als bey dem Mangel derselben; leichter bey Kindern, die noch nicht geathmet haben, als bey solchen die schon athmeten; leichter bey Kindern, deren Brust und oberer Theil des Bauchs einen anhaltenden Druck, sey es auch nur von den Windeln, erleiden, als bey solchen die ganz frey liegen bleiben v); leichter endlich, wenn Kinder auf einer Seite liegen, als wenn sie auf dem Rücken gelegt sind.
Dass auch bey kraftvollen neugebornen Kindern leichter eine Verblutung durch den Nabel geschehen solle, als bey schwachen, wie Roose w) behauptet hat, davon ist kein zureichender Grund einzusehen. Vielmehr lässt sich eher das Gegentheil mit Grunde annehmen, indem, wenn auch die Neigung zum Ausfliessen des Bluts aus einer entstandenen äusseren Oeffnung im Blutgefässsysteme sich gleich bleibt, doch bey einem schwachen blutarmen Kinde schon ein viel geringerer Blutausfluss aus dem Nabel das Kind in eine tödtliche Asphyxie zu versetzen vermag.u) Die Geschichte dieses Streits findet man sehr gut zusammengestellt in Augustins Archiv der Staatsarzneykunde Band 2, Stück 2, S. 146 u.f. Dieser Zusammenstellung stehet die von Daniel (in Comment, d. umbilico et pulmonibus) abgefasste Geschichte dieses Streits, die ohnehin nur bis zu dem Jahre 1780 gehet, sehr nach. Die vorzüglichsten Einwürfe wider diese Todesart und ihre Möglichkeit hat Ploucquet (in seiner Abh. über die gewaltsamen Todesarten, Abschn. 2, §. 163) gesammelt und beantwortet. (...)
v) Siehe Bemerkungen über das Unterbinden der Nabelschnur, in wie fern die Unterlassung desselben dem neugebornen Kinde nachtheilig ist: in Börs Abh. und Versuche geburtshülflichen Inhalts, Band 2, Theil 1, S. 21.
w) Taschenbuch für gerichtl. Aerzte, S. 158.
Handbuch der gerichtlichen Arzeneywissenschaft zur Grundlage bey akademischen Vorlesungen und zum Gebrauche für ausübende gerichtliche Aerzte, Dr. Christian Friedrich Ludwig Wildberg, Berlin, 1812, S. 324ff
1857 Kinder-Diätetik
Die folgenden Beispiele, die ich chronologisch sortiert habe, zeigen verschiedene Verfahren beim Abnabeln und der Nabelpflege.
In diesem ersten Beispiel aus einem Kinderpflege-Buch, sind folgende Punkte zentral:
- Kind liegt zwischen den Beinen der Mutter, damit kein Zug an der Nabelschnur liegt.
- Durchschneiden der Nabelschnur nach dem Auspulsieren.
- Ausstreichen der Nabelschnur Richtung Kind.
- Babys, die sehr rot sind, haben "zu viel Blut". Hier wird erst nach dem Durchschneiden der Nabelschnur diese abgebunden, damit etwas Blut auslaufen kann.
- Abbinden der Nabelschnur auch auf der Seite der Mutter, wenn Zwillinge vermutet werden.
- Geschnitten wird mit einer stumpfen Schere, da diese mehr quetscht als schneidet und somit die Blutbahnen verschließt.
- Nach dem ersten Bad wird der Nabelschnurrest in ein ölgetränktes Leinwandläppchen eingewickelt.
- Es wird betont, dass der Nabelschnurrest auf die rechte Seite des Bauches gelegt werden soll, bevor er mit einem breiten Bauchband fixiert wird.
- Bei Entzündung des Nabels werden Bärlappsporen verwendet.
"Zur Zeit der Geburt hat der Nabelstrang gewöhnlich die Länge des Kindes und ist ungefähr fingerdick. Kein Thier hat einen so langen Nabelstrang wie der Mensch, ihm ist daher schon im Mutterleibe die größte Freiheit der Bewegung möglich. Der Nabelstrang enthält eine dicke grade laufende Blutader, und zwei dünnere um dieselbe gewundene Pulsadern. Diese drei Gefäße sind von einer Sulze umgeben und von einer Scheide locker umhüllt.
Bekanntlich hört bald nach der Geburt diese Verbindung zwischen Mutter und Kind auf, und der Nabelstrang verliert damit seine frühere wichtige Bestimmung.
Deßhalb beißt das Weibchen bei den Thieren den Nabelstrang selbst ab, beim Menschen muß dieß aber künstlich geschehen. Da nun Jedermann in die Lage kommen kann, einer gebärenden diese Hilfe leisten zu müssen, und man durch Ungeschicklichkeit hierbei viel Schaden anrichten kann, so ist es gut, wenn man über die Art dieser Hilfeleistung unterrichtet ist. Wir wollen daher das Nöthigste hierüber hier gleich mittheilen.
Man lasse vor Allem das eben geborene Kind so nahe als möglich dem Schooße der Mutter liegen, damit der Nabelstrang nicht gezerrt werde. Sieht es bleich aus, und gibt es wenig Lebenszeichen von sich, dann bedarf es noch des Blutzuflusses aus der Mutter; sieht es aber roth aus und liegt es da, wie vom Schlage gerührt, dann kann ihm das hinzuströmende Blut Gefahr bringen. Man soll jedoch den Nabelstrang nicht eher durchschneiden, als bis seine Pulsadern aufhören zu klopfen, was man durch Befühlen derselben erkennen kann.
Beim Durchschneiden des Nabelstranges verfahre man auf folgende Weise: Man streiche vorerst langsam die Sulze in der Scheide desselben von der Mutter gegen das Kind zu mit den Fingern herab, und binde zwei Querfinger vom Nabel entfernt ein breites Bändchen um den Strang nicht gar zu fest, dann schneide man mit einer etwas stumpfen Scheere (weil diese mehr quetscht, und durch Quetschung die durchgeschnittenen Gefäße sich leichter verschließen) ungefähr zwei Querfinger vom Bunde entfernt den Nabelstrang durch.
Wünscht man, daß das vollblütige Kind durch diese Operation etwas Blut verliere, dann muß der Nabelstrang eher durchschnitten werden, bevor man ihn unterbindet.
Hat man die Vermuthung, daß Zwillinge kommen, so soll auch das Endtheil, welches noch mit der Mutter in Verbindung ist, unterbunden werden, weil bei Zwillingen nicht immer zwei Mutterkuchen vorhanden sind, es also geschehen kann, daß sich das zweite Kind durch die klaffende Blutader, noch bevor es zur Welt kommt, verblutet.
Nachdem die Durchschneidung geschehen, und das Kind im ersten Bade gehörig gereinigt worden, wird das herabhängende Stück des Nabelstranges in ein feines mit reinem Oele getränktes Leinwandläppchen eingeschlagen, welches man vorher bis gegen die Mitte eingeschnitten hat, Dann wird dasselbe auf die rechte Seite des Bauches gelegt, und damit es in dieser Lage erhalten werde, mit einer Bauchbinde befestigt.Die hie und da noch üblichen breiten Nabelfatschen sind zu diesem Zwecke weniger geeignet, weil sie sich leicht verrücken und weil das Anlegen derselben zu umständlich ist.
Das abgebundene Stück des Nabelstranges trocknet und schrumpft in 3 bis 4 Tagen ein, und löst sich von der Hautwulst am Nabel durch Eiterung allmälig so ab, wie sich der Stiel von der Melone trennt. Dabei kann es geschehen, daß wenn diese eiternde Stelle nicht rein gehalten wird, wenn das Kind sehr unruhig ist, und besonders wenn die Nabelfatsche von grober Leinwand ist, daß die Haut um den Nabel sich entzündet, was sogar Veranlassung zu der gefährlichen Entzündung der Nabelblutader werden kann. Um dieß zu verhüten, ist es daher ganz recht, daß man die Haut täglich mit Bärlappstaub*) (sogenanntem Wurmstrupp) bestreue, welcher durch seine staubartige Beschaffenheit trocknend und den Schweiß aufsaugend wirkt.
*) Bärlappstaub (semen lycopodii) ist der Samen einer Moosart, welche in sandigen Hochwäldern zwischen Steinen wächst, und im Juli wolzenförmige gelbe Kolben bildet, aus welchen nach vorherigem Dürren, durch Klopfen dieser feine gelbe Staub gewonnen wird. Gegenwärtig kommt er meist aus Kärnthen."
Kinder-Diätetik. Eine Anleitung zur naturgemäßen Pflege und Erziehung des Kindes, Ludwig Wilhelm Mauthner Ritter von Mautstein, 3. Auflage, Wien 1857, S.26ff
1864 Die körperliche Kindererziehung
In diesem Kinderpflege-Buch wird das Abnabeln nicht beschrieben, da es als Aufgabe der Hebamme angesehen wird. In der Tat dürften reiche Frauen und insbesondere Städterinnen immer eine Hebamme gehabt haben. Auf dem Land kam diese nicht immer rechtzeitig oder wurde gar nicht erst bestellt, weil andere Frauen ihre Aufgaben übernahmen. Der Hinweis aus "Kinder-Diätetik", dass jede'r mal in die Verlegenheit kommen könne, eine Nabelschnur durchschneiden zu müssen, und das vollständige Fehlen einer Beschreibung dieses Vorgangs in "Die körperliche Kindererziehung" macht die unterschiedlichen Zielgruppen der beiden Bücher deutlich.
Die wichtigsten Punkte in der Nabelpflege in diesem Buch:
- Breite, trockene Nabelbinde, die nach jedem Bad ersetzt wird. (tägliche Bäder)
- Im Bad wird die Binde aufgeweicht, da sie am Nabelschnurrest klebt, und nur so sanft entfernt werden kann.
- Falsche Behandlung des Nabels kann zu Schreien und dadurch zu Nabelbrüchen führen.
- Pflege auch des wunden Nabels nur mit Wasser.
"Auch in Betreff der Behandlung des Nabels bei dem Kinde herrschen unter den Weibern so manche Vorurtheile. Der Rest der Nabelschnur fällt, wie bei allen neugebornen Säugethieren zwischen dem 7ten bis 11ten Tag nach der Geburt ab, ohne daß man darum Pflaster, Salben u. dlg. in Anwendung zu bringen nöthig hätte. Man wickelt die zweckmäßig unterbundene Nabelschnur in ein trockenes, weiches, mehrfach zusammengelegtes Leinwandläppchen, das in jedem Bade nach geschehender Aufweichung und behutsamer Ablösung durch ein reines ersetzt wird. Um die dergestallt umhüllte Nabelschnur in gehöriger Lage zu erhalten, dient die mehrmal um den Leib des Kindes geführte, wenigstens drei Finger breite Nabelbinde. *) Je schmäler diese Binde ist, desto leichter runzelt sie sich durch die Bewegungen des Kindes zusammen, und desto weniger entspricht sie dann dem Zwecke.
So sehr ich überzeugt bin, daß die Nabelbinde in allen jenen Fällen, in welchen der Säugling, wie ich im Verlaufe meines Buches beschreiben werde, zweckmäßig gepflegt und ernährt wird, ganz entbehrlich und zwecklos ist, ebenso nothwendig erscheint aber diese Binde bei jenen Kindern, die wegen naturwidriger Behandlung sehr unruhig sind, viel schreien müssen, und daher gar leicht Nabelbrüche bekommen können. Bei derlei kranken Kindern wird die zweckmäßig angelegte Nabelbinde auch dann noch zur Verhütung des Nabelbruches längere Zeit nothwendig sein, wenn der Rest des Nabelstranges bereits abgefallen ist.
Sollte sich nach abgefallener Nabelschnur eine Wunde am Nabel zeigen, so heilt auch diese gar bald zu, wenn sie öfter mit einem in laues Wasser getauchten, mehrfach zusammengelegten Leinwandläppchen bedeckt wird. Salben, Unschlitt, Pflaster u. dgl. zu diesem Behufe gebraucht, verwandeln die Nabelwunde in ein bösartiges, oder wenigstens sehr langsam heilendes Geschwür, da indessen mit dem einfachen lauen Wasser nicht nur eine schnelle, sondern auch regelmäßige, feste Vernarbung am sichersten zu Stande gebracht wird.
*) Bei meinen eigenen Kindern machte ich auch von dieser Binde so wie von allen Wickelbändern oder Fatschen keinen Gebrauch. Der Rest der unterbundenen Nabelschnur wurde durch die den Bauch bedeckende Wäsche in seiner gehörigen Lage erhalten."
Die körperliche Kindererziehung. Ein Buch für Eltern, Lehrer und Erzieher, Thomas Joseph Lauda, Prag 1864, S.111 f
An einer Stelle jedoch wird die Abnabelung nebenbei erwähnt. Angeblich schlafen Kinder schlecht und können Mutter und Kind sehr krank werden, wenn die Hebamme zu früh abnabelt.
"Die Ursache, warum auch jene Säuglinge, die an der Mutterbrust ernährt, und nicht gleich nach der Geburt mit Fatschen und Laxiersäftchen gequält werden, oft so wenig schlafen, sind gemeiniglich folgende: 1. weil man sie nicht zweckmäßig badet; 2. weil man sie nicht in die Bettwärme der Mutter bringt; 3. weil das Kinderbettchen nicht von gehöriger Beschaffenheit ist; 4. weil man die Kinder durch manche schädliche Gebräuche im Schlafe stört; und 5. endlich, weil sie nicht selten gar bald nach der Geburt die Gelbsucht mit sehr ermattenden, gallichten Durchfällen bekommen, und Mütter und Hebammen nicht wissen, wie sie sich in solchen Fällen benehmen sollen.*)
*) Oft sind Kinder aus dem Grunde nach der Geburt durch längere Zeit der unruhig, weil Hebammen, was ich so oft erfahren habe, die Nabelschnur ohne Ursache zu früh unterbinden. Auf diese Art wird der Blutkreislauf, der noch einige Zeit nach der Geburt zwischen Mutter und Kind Statt findet, gewaltsam unterbrochen, wodurch nicht nur Schlaflosigkeit, sondern auch andere sehr gefährliche Krankheiten bei Neugebornen und Kindbetterinnen erzeugt werden. Ich muß die Hebammen bei dieser Gelegenheit auf das erinnern, was ihnen in dieser Beziehung auf der Schule beigebracht worden ist, nämlich: daß sie niemals ohne hinlänglicher Ursache den Nabelstrang früher unterbinden sollen, bevor nicht der Pulsschlag in demseleben gänzlich verschwunden ist."
Die körperliche Kindererziehung. Ein Buch für Eltern, Lehrer und Erzieher, Thomas Joseph Lauda, Prag 1864, S.206 f
1874 Lehrbuch der Geburtshülfe für Hebammen
In diesem Hebammenlehrbuch erfahren wir vor allem, wo die Nabelschnur durchtrennt werden soll. Es wird 4-5 Finger breit vom Bauch des Kindes entfernt abgebunden und dann noch 3 cm weiter abgeschnitten. Wieder wird auf der Seite der Mutter nur dann zwingend abgebunden, wenn Zwillinge erwartet werden. Allerdings empfehlen manche Ärzte mittlerweile, diese zweite Unterbindung bei jeder Geburt durchzuführen. Es wird betont, dass dieses weitere Abbinden unschädlich sei.
"Athmet das Kind frei, so überzeuge sich die Hebamme durch Befühlen des Unterleibs der Kreissenden, ob der Muttergrund sich gehörig zusammengezogen hat, oder ob etwa ein zweites Kind in der Gebärmutter ist, um beim Abnabeln des Kindes entsprechend zu verfahren. Sobald die Pulsadern der Nabelschnur zu klopfen nachgelassen, wird der Nabelstrang unterbunden, indem ein etwa 20 Cm. oder 8 Zoll langes strohhalmbreites Fadenbändchen vier oder fünf Querfinger vom Bauche des Kindes entfernt, um den Nabelstrang zu einem einfachen Knoten geschlungen, und so fest zugezogen wird, daß die Adern der Nabelschnur hinlänglich zusammengedrückt erscheinen, um ferner kein Blut hindurch zu lassen. Begreiflich muß hierzu bei fetter Nabelschnur eine kräftigere Zusammenziehung stattfinden als bei magerer. - Nachdem die Nabelschnur alsdann einen reichlichen Zoll oder 3 Cm. weiter vom Bauche des Kindes entfernt, mit der stumpfspitzien Nabelschnurscheere durchschnitten ist, wird das freie Ende auf das umschlungene Bändchen zurückgeschlagen, nochmals damit umgeben, fest zusammengezogen und mit einem einfachen Knoten, und einer Schleife darüber befestigt.
Sollte ein zweites Kind in der Gebärmutterhöhle sich finden, so durchschneidet man den Nabelstrang nicht, bevor man denselben noch einmal vier Querfinger breit näher den mütterlichen Geschlechtstheilen mit einem zweiten Bändchen unterbunden hat. Siehe §. 171. Diese zweite Unterbindung des nach dem Mutterkuchen verlaufenden Theiles der Nabelschnur wird von manchen Aerzten für alle Fälle empfohlen und ist auch ganz unbedenklich."
Lehrbuch der Geburtshülfe für Hebammen, Dr. Eduard Martin, 3. Auflage, 1874
1892 Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner Kinder?
In diesem Kinderpflege-Buch wird die Schuld an der Praxis des frühen Abnabelns den Hebammen gegeben. Ob da etwas dran ist, oder ob dies nur die Arroganz eines männlichen Arztes ist, liesse sich diskutieren.
Jedenfalls nimmt der Zeitpunkt des Abnabelns in diesem Buch viel Raum ein. Die Nabelpflege hingegen wickelt der Autor mit einem Satz ab: "Die Sorge für die kunstgerechte Behandlung der Nabelschnur, das Ueberwachen des Abfallens und der Verheilung liegt der Hebamme ob."
Dass die Nabelschnur zweimal abgebunden wird, wird durch das Fehlen einer Diskussion als normal dargestellt.
"Die Hebammen haben bisweilen die Neigung, das Kind nach der Geburt möglichst bald abzunabeln, auch wenn kein dringender Grund dafür vorhanden ist, auch wenn das Kind schreit, also athmet. Sie umschnüren sofort die Nabelschnur mit einem Bändchen, machen einen Knoten, legen näher zum mütterlichen Körper noch eine zweite Ligatur an und schneiden die Nabelschnur zwischen den beiden Ligaturen durch, um das Kind frei handhaben zu können.
Soll man dieses frühe Abnabeln dulden? Ich glaube nicht! Es ist viel darüber gestritten worden, begreiflich wieder mit theoretischen Gründen, denn es sind Kinder leben geblieben und es sind Kinder gestorben, die früh abgenabelt wurden, aber Eins ist mit Sicherheit erwiesen: Es geht, während das Kind schon geboren ist, in den Körper desselben noch Blut aus dem Mutterkuchen, der Nachgeburt, über. Die Menge ist gar nicht so unbedeutend, sie variiert von 30 bis 110 Gramm. Wenn jemand neugebornen Kindern Blut enziehen wollte, so würde man ihn ohne Zweifel für einen Herodes halten, *) weshalb sollen wir dulden, unseren Kindern das Blut vorenthalten wird, welches ihnen auf natürlichem Wege zufliesst? Die Behauptung, dass spät abgenabelte Kinder häufiger und stärker gelbsüchtig würden, als früh abgenabelte, ist vom rein theoretischen Standpunkte aufgestellt und hat sich, soweit meine Informationen reichen, durch die Erfahrung nicht bewährt. Uebrigens ist die Gelbsucht der Neugeborenen mehr erschreckend durch das Aussehen der Kinder, als sich thatsächliche Befürchtungen an die gewöhnliche Form derselben knüpfen, nur geht allerdings bei ihr ein Theil der rothen Blutkörperchen zugrunde, die aber doch nicht das ganze Blut, sondern nur ein Bestandtheil desselben, wenn auch ein sehr wichtiger, sind.
Schon bei den alten Geburtshelfern galt es als Regel, man solle mit dem Unterbinden der Nabelschnur warten, bis dieselbe aufgehört habe zu klopfen. In dieser Hinsicht braucht man sich nicht auf das Wort der Hebamme zu verlassen, jede bei der Geburt anwesende Angehörige kann sich davon durch Anlegen des Daumens und des Zeigefingers überzeugen. Solange die Nabelschnur noch klopft, noch pulsirt, geht nicht nur Blut aus dem Mutterkuchen zum Kinde, sondern auch noch Blut, wenn auch weniger, vom Kinde zum Mutterkuchen. Wenn die Nabelschnur aufgehört hat zu pulsieren, so geht kein Blut mehr vom Kinde in den Mutterkuchen und nur noch kurze Zeit solches vom Mutterkuchen in das Kind. Wenn man also dann noch etwa fünf Minuten wartet, so wird dem Kinde nichts Wesentliches mehr vorenthalten.
*) Allerdings ist schon im vorigen Jahrhundert von berühmten Aerzten und Geburtshelfern (von Swieten, Roederer, Smellie) Blut bei Neugeborenen dadurch entzigen worden, dass sie einige Unzen davon aus der durchschnittenen Nabelschnur herauslaufen liessen; aber dies geschah nicht in gewöhnlichen Fällen, sondern nur in solchen, in welchen sie wegen zu starker Anhäufung des Blutes in Kopf und Brust für das Leben des Kindes fürchteten."
Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner Kinder? Dr. Ernst Brücke, 2. Auflage, 1892, S.11f
1905 Die Kinderernährung im Säuglingsalter
Trotz des sehr spezifischen Titels geht es in diesem Buch auch um andere Themen der Säuglingspflege. Es handelt sich hier weniger um einen Ratgeber als um eine wissenschaftliche Abhandlung mit vielen Quellenangaben, Verweisen und Erläuterungen anderer Werke und auch geschichtlichen Aspekten.
"Sobald das erwartete Kind wirklich zur Welt gekommen ist, wird der nächste Erfolg der Ernährung schon etwas beeinflusst durch die Art und Weise der vollständigen Lösung des Kindes von der Mutter mittels Trennung des Nabelstranges (Zitate in 149).
Schon Levret gebietet, den Nabelstrang "nicht früher zu durchschneiden, als bis das Kind geschrien hat, besonders wenn es blass ist, damit es noch der Hilfe des Mutterblutes geniesse" (24, III, § 1237). Dass überhaupt Blut hierbei dem kindlichen Körper zugeführt wird, sei es durch Ansaugen mittels Atmung (Budin), sei es durch Druck der sich kontrahierenden Gebärmutter (Schücking), im Mittel nach Ribemont 92 g, hat man durch Wägungen sofort nach der Geburt und einige Minuten später darzutun gesucht. Das soll nach Lorch (In.-Diss. unter Zweifel, Erlangen 1878) die Ernährung und das Körpergewicht des Neugeborenen nachweisbar günstig beeinflussen. Was L. Mayer, Porak und Violet gegen das Spätabnabeln vorgebracht (Gelbsucht durch Zerfall überschüssiger Blutkörperchen), erscheint nicht durchschlagend, und ich glaube, dass man dem auch früher schon von Späth u.a. empfohlenen Verfahren treu bleiben und, besonders wenn nach rascher Geburt das Kind blass ist, erst einige Minuten nach jener die Nabelschnur unterbinden und durchschneiden soll."
Die Kinderernährung im Säuglingsalter, Biedert, 1905, S.112f
Der Hinweis, dass das Abnabeln einen Einfluss auf den Stillerfolg hat, ist so faszinierend wie logisch. Ein mattes, schläfriges Baby stillt schlechter.
Bei der andauernden Betonung der Wichtigkeit des Auspulsierens durch all diese Bücher hindurch, ist es erstaunlich, dass das frühe Abnabeln sich überhaupt durchsetzen konnte. Ich vermute den Hauptgrund in der Wahl des Krankenhauses als Geburtsort. Dort lag die Priorität dann auf zügigen Abläufen.