Familienleben einst & heute

"Wohlmeynender Rath für Aeltern" aus 300 Jahren Erziehungsratgebern und wie dieser sich bis heute auswirkt.

"So sehr es wünschenswerth ist, daß der Kinderwagen den Kindermantel der Wärterin ersetze, so giebt es doch noch vorurtheilsstarre oder zu nachsichtige Mütter, welche den Mantel, dieses Kleidungsstück, welches viele Krüppel aus sich hervorgehen ließ, noch dulden, namentlich weil Wärterinnen nicht gern mit dem Wagen ausgehen; jüngere können mit diesem Fuhrwerke nicht überall heimlich hinschlüpfen, wo sie nicht hin sollten, in dumpfe Stuben ihrer Bekannten und Verwandten, auf Plätze des Stelldicheins; ältere Wärterinnen halten es unter ihrer Würde, "in der Karre zu fahren", und stolziren lieber im Mantel mit langem Behänge umher, um ihr Kind zu repräsentiren und sich dem Publikum zu empfehlen.

"Das Tragen der Kinder verdient eine eigne Erwägung. In den frühern Zeiten, wo der Körper des Kindes, und besonders das Rückgrat desselben noch nicht Festigkeit genug hat, um sich aufrecht zu erhalten, soll das Kind niemals frei sitzend, sondern mit der gehörigen Unterstützung im Rücken und Nacken, eingewickelt, oder liegend (in einem Körbchen, einer Matratze u.s.w.) getragen werden. Auf solche Weise erleidet der weiche, leicht verschiebbare und nachgiebige Körper des Kindes keine Gewalt, und es ist keine Verschiebung durch anhaltenden schädlichen Druck zu fürchten.

"Schon in den ersten Lebenstagen wird das Kind täglich eine Zeit lang getragen werden müssen. Für die Wärterinn ist es das Bequemste, das Kind in einen Mantel einzuklemmen und es auf diese Art zu tragen; aber für das Kind ist es nicht heilsam.

Ich weiß nicht, ob mans schon gesagt hat, doch ists wol kaum anders möglich, als daß es schon oft gesagt ist, da es jedem so leicht einleuchten muß - daß ein Viertheil der Kinder wenigstens nicht vest genug gebauet sein dürfte, um nicht durch täglich mehrstündiges Tragen in Kindermänteln unhintertreiblich zu Krüppeln werden zu müssen.

Dies ist der Beginn eines Vergleichs zweier Ausgaben des Buches „Die (deutsche) Mutter und ihr erstes Kind“. Ich werde nach und nach ergänzen und schließlich die wichtigsten Punkte in einem öffentlichen Blogbeitrag zusammenfassen. Mitglieder können den Fortschritt des Vergleichs wahlweise bei Steady oder bei Patreon verfolgen, Fragen stellen, Anmerkungen machen und mehr Details erfahren.

Schon lange geht es in diesem Blog nicht mehr nur um Säuglingspflege. 

Was vor über zwölf Jahren mit dem Posten kontextualisierter Zitate aus historischen Erziehungsratgebern begann, hat sich mittlerweile zu einem umfangreichen Blog und mehreren Social Media Kanälen gemausert. Zunächst ging es primär um die Ursprünge von Stillregeln, vom Schlafenlernen und überhaupt der Säuglingspflege. Heute geht es zudem um das Familienleben, die Rollen der einzelnen Familienmitglieder, größere Kinder, feministische Geschichte und Geschichten, Kinderrechte, die Zerstörung des Patriarchats, Hilfe bei Generationenkonflikten und viel mehr.

Schon vor der Geburt hat ein Baby Schlaf- und Wachphasen. Schlafen an sich ist daher nichts, was gelernt werden müsste. Und dennoch gibt es sogenannte Schlaflernprogramme. Warum?

Was Babys mit den Schlaflernprogrammen beigebracht werden soll, sind das Einschlafen ohne Hilfe anderer Menschen und das Durchschlafen in der Nacht. Das entspricht zwar weder dem sozialen Bedürfnis noch den physiologischen Anlagen von Babys. Dennoch wird von vielen Menschen bis heute sehr viel Wert auf beides gelegt. Dieser Wert beruht auf einer kruden Vorstellung von Selbständigkeit und der vermeindlichen Notwendigkeit geregelter Tagesabläufe. 

"Die Hebammen haben bisweilen die Neigung, das Kind nach der Geburt möglichst bald abzunabeln, auch wenn kein dringender Grund dafür vorhanden ist, auch wenn das Kind schreit, also athmet. Sie umschnüren sofort die Nabelschnur mit einem Bändchen, machen einen Knoten, legen näher zum mütterlichen Körper noch eine zweite Ligatur an und schneiden die Nabelschnur zwischen den beiden Ligaturen durch, um das Kind frei handhaben zu können.

Auch wenn die Nabelschnur selten länger als die erste Lebenswoche ein Thema für Eltern ist, so lohnt es sich doch, den Umgang damit in früheren Zeiten einmal genauer zu betrachten.

Heutzutage lassen wir die Nabelschnur, wenn möglich, auspulsieren, bevor sie abgeklemmt und durchtrennt wird. Danach lassen wir sie austrocknen bis sie von allein abfällt. In der Zwischenzeit sorgen wir nur dafür, dass das Baby sich an dem Nabelschnurrest und der Klammer nicht wund scheuert. Doch dieses Verfahren hat sich erst vor nicht allzulanger Zeit etabliert. Davor gab es Diskussionen über den besten Zeitpunkt des Abnabelns, die Art und Weise des Abnabelns und die Nabelpflege. 

Für alleinstehende Frauen mit Kindern gab es früher nicht viele Optionen. Fabrikarbeiterinnengaben ihre Kinder oft in Obhut oder ließen sie allein zuhause. Dienstmägde und Ammen gaben ihre Kinder in Pflege. Eine Frau, deren Ehemann starb, konnte sich erneut verheiraten, um ihren und der Kinder Unterhalt zu sichern. Doch was geschah, wenn der Mann im Gefängnis sass?